14. April 2003, Montagnachmittag
Wieder Krankenhaus. Wer hätte es gedacht... KOTZ!
Innerhalb von zwei Stunden wieder alle Hauptthemen, die da so zur Verfügung
stehen in einer Situation wie dieser, mit meiner von Leid gebeutelten
Zimmernachbarin, die mich am Mittwoch aber wieder verlassen wird, und sich somit
die Chance eröffnet, alles noch mal durchzukauen mit eventuell neuer
Zimmerbesatzung, durchgegangen.
Vorher war ich noch guter Dinge, mittlerweile bin ich erneut am abkotzen,
langweile mich und warte auf die Infusion die nicht kommen will.
Walter steht schon bereit, wie von Zauberhand zu meiner Rechten befehligt.
Also, das Team BMS steht mit den Nerven Scharrenderweise in den Startlöchern.
Langweil, mir fällt nichts mehr ein und mein Körper fühlt sich nicht wohl an.
Na gut, erst mal ne Situationsbeschreibung, weil Tippen ja so schön entspannend
ist:
Es ist nun 15:27, einquartiert in Zimmer Nummero 8 (es klingt verheißungsvoll, wie ein Aufstieg in der Karriereleiter, irgendwann liege ich auf 14, Sonderklasse), die Sonne scheint, mehr oder weniger, es ist schwül und stickig im Zimmer, Fenster wie immer nur einen Spalt breit zu öffnen, Selbstmordsicherung, und als ob ich geahnt hätte, dass ich bereits so schnell meine gute Laune verlieren würde- Migräne setzt ein. Die Luft ist trocken wie eh und je und zerfrisst unsere Nasenschleimhäute. Noch bin ich gut um diverse Essensangebote drum rum gekommen, ein Apfel muss fürs erste reichen. LAANNGWEIL!!!! Würde ich doch gerne was anderes schreiben....
Ich bin wahrlich ein begabter und geduldiger Warter, aber hier verlernt mensch selbst das!
15. April 2003, Dienstagmorgen
5:50
Gestern Abend noch, bevor meine Migräne zum Präventivschlag gegen meine
Eingeweide und deren Inhalt ausholte, fragte mich meine Zimmergenossin nach
längerem Gespräch, ob man mich mit Absicht zur ihr gelegt hatte, damit wir uns
aussprechen konnten. ``Wir“ trifft nicht unbedingt zu, für mich ist das
Durchziehen dieser Prozedur mittlerweile Krankenhausroutine, sie hatte es
nötiger, selbst wenn sie meinte, nicht depressiv zu sein, zweifelte ich daran,
dass sie sich des Inbegriffs dieses Wortes überhaupt bewusst ist. Sie zerfloss in Selbstmitleid, ihr Körper, ihre ganze Mimik
floss mit bis sie wieder im Bett
mehr schlecht als recht aufrecht hing. Ich kann es ihr nicht übel nehmen;
soviel Leid und Tragik. Bald schlief sie in der Luft in einem Winkel von ca.30°
hängend mit weit aufgerissenen Mund ein. Ich machte mir Sorgen, es sah beinahe
todesähnlich aus und riss mich im Geiste kurzfristig zurück an das Totenbett
meiner Oma. Zum Glück schlief sie nur. ``Zum Glück“; wieder etwas
überspitzt, denn die nächtliche Stille wurde zerrissen von gar unheimlichen
und grausigen Lauten; einatmendes Schnarchen und ausatmendes Heulen; ich fand
mich in einem akustischen Zustand des Erstickens wieder, der sich durch die
Nacht ziehen sollte und mich gar zu oft aufschrecken ließ. Doch war ich nicht
die einzige die aufschreckte. Immer wieder trat unheilvolle Stille ein, die
schlagartig und unvorhersehbar von einem lauten, fast schnaubenden Atemzug
zerfetzt wurde, als würde ihr Körper im Schlaf vergessen seinen Tätigkeiten
nachzukommen und vor sich selbst erschrecken, wenn er sich dabei ertappte. Seit
einer Stunde schreckt auch der Geist meiner Zimmernachbarin auf und brabbelt und
stammelt einige Zeilen, ehe sie zurück in ihre Kissen sinkt und weiter
lautstark nach Luft ringt. Sie rechtfertigt sich im Schlaf; ich ahne bereits, von wem sie wieder geträumt hat.
Nun ist es kurz nach 6, zum Glück ist mir nicht mehr speiübel, drohte doch mein Mageninhalt samt Giftmüll wieder hochzukommen, als unsre Toilette besetzt war und ich mich aus dem ``Selbstmordsicherungsfensterspalt“, der grad mal so breit ist wie mein Schädel, in Gedanken kotzen sah.
Nun ist sie wach und ist verwundert über meine Schilderungen, wie ihre Nacht
verlaufen sei.
7:45
Kakao, ein Genuss. Den ``Wallungshaarschweiß“ aus den Haaren gewaschen, die
Sonne scheint und verspricht einen weiteren warmen Tag und eine nicht zu
vermeidende schwüle Nacht. Die Knochentablette brodelt in der
Kakao-Wasser-Suppe, und belässt es hoffentlich dabei; ich versuche mich auch
wie vorgeschrieben artig aufrecht zu halten um diverse Schleimhautverätzungen
zu vermeiden -ein netter Stoff! Es folgt wie gewöhnlich Putztruppensmalltalk, Schäkereien
mit einem jungen Pfleger auf die ich wie immer nicht souverän genug
reagiere, nur im nachhinein im Geiste Sätze wie Fäuste bilde.
8:20
Ich erhalte die Hiobsbotschaft, dass mich eine Physiotherapeutin ereilen wird
und mir sogar Ergotherapie aufgeschrieben wurde (obwohl ich im Moment nicht im Stande
bin das Wort zu definieren, worum es sich denn nun eigentlich handelt).
Abwarten, die Infusion gluckert bereits, jetzt nach kurzem eigenmächtigen
Manipulieren läuft's erst richtig. Der Vormittag ist lang, das Frühstück
konnte ich erfolgreich verschmähen und meine Mitinsassin wurde zur Physio
abgeholt nachdem der junge Pfleger ihr nach dem Duschen noch eine schnelle Frisur
verpasst hatte. Das Geschehen wurde eher skeptisch beäugt. Durch meinen Kopf
schwirren mittlerweile wieder organisatorische Sorgen; ob ich die Sache mit der
Kinderbeihilfe und dem Finanzamtformular heute bei der Visite ansprechen sollte?
Seufz... Und noch beinahe zwei Stunden am Tropf; Bleizungenalarm!!!
9:00
„Dienstag ist Abwiegetag!!!!“, schallt es freudig durch die Hallen; JUUUhuu
u u u bäh... OK, mein Gaumen ist vom Urbason staubtrocken, egal, kein Wasser
mehr, sonst bringe ich wieder sonst was auf die Waage und das erste was ich bei
meiner Entlassung auf meinem Befund entdecken werde ist der phys. Status:
ÜBERGEWICHTIG! Kotz, ihr könnt mich alle mal!
16:00
Ergotherapie wieder gestrichen, ich “Habe zu viele Muckis in den Armen!“,
Physio aber angebracht. Ich werde NICHT gewogen, aber dennoch, viel Glück werde
ich schon vor der Chemo brauchen. Das Mittagessen elegant umgangen, schmeckte
auf ``krankenhausvegtarische Weise“ wieder nach Chemospeck.
18:00
Das Abendessen wollte mir nicht munden, gut, es gab also nur drei Scheiben Brot,
wie schön für mich. Und das vermutlich letzte Zusammentreffen mit meiner
neuen, alten Lieblingsärztin, irgendwie sehr, sehr traurig. Ich hoffe aber nun
auch noch, dass das mit dem Finanzamt gut geht. Noch mehr, und öfter, und noch
eindringlicher konnte ich meine Bitte nicht formulieren.
19:00
Derzeitiger Status: Meine Zimmernachbarin hat mir erneut gedankt, dass ich ihre
Zimmergenossin geworden bin, sie verlässt mich morgen Nachmittag, irgendwie ist
mir egal was folgt, grade eben 40 Minuten Liebesgeflüster ausgetauscht, ich
bleibe morgen besuchslos, egal, Hauptsache die Bodenplatte wird geflämt, die
Chemo steht am Donnerstag an, was für mich wieder Geldsparen in vielerlei
Hinsicht bedeutet, ich habe einen schönen Haargummi gefunden, Freitag komme ich
wie geplant raus und es ist wieder unerträglich schwül im Zimmer. Hinzu kommt
dass ich mich vollkommen aufgekratzt und euphorisch fühle, wie nach jeder
zweiten Urbasoninfusion, das wird sich morgen dann wohl legen. Ich bin
so hippelig, dass mein Körper vergisst, dass er eigentlich Hunger haben sollte.
Die Nacht verspricht unendlich lang zu werden....
20:35
Die Haut ist bereits entzündet, mir ist heiß, eine depressive Grundstimmung hat
sich allmählich eingestellt und ich fühle Müdigkeit auf mich niederfallen.
Irgendwie hätte ich der Ärztin noch alles Gute gewünscht und ihr vor allem gesagt, dass sie so menschlich bleiben solle wie jetzt. Schade...
Müde...
16. April 2003, Mittwoch kurz nach Mitternacht
Nachtrag: Das nächste mal Ohropax, Klebestreifen, Wäscheklammer und
Vorschlaghammer zur "fachfrauischen Autobetäubung" zum "Standard-LKH-Repertoire"
hinzufügen.
Es war einfach nicht auszuhalten, ein laufender Traktor neben meinem Bett
wäre nicht an das Klangvolumen dieses Schnarchkonzertes herangekommen. Das
Kissen über dem Kopf, von einer Nachtschwester mit neuen Ohrstöpseln
ausgestattet lag ich auf dem Bett und versuchte stundenlang wieder zum Schlaf zu
finden, während ich mir immer wieder einlullender- und monotonerweiße einredete, dass sie das ja nicht mit Absicht machen würde. Um 3:45 Uhr
mitteleuropäischer NACHTzeit kapitulierte ich endgültig und machte mich mit
dem MP3-Player in der Hand auf den Weg durch die neonlichtverseuchten Gänge und
Hallen gen Nichtraucherfernsehraum, wo ich dann mehr schlecht als recht auf zwei
Stühlen meine müden Knochen ausbreitete und mich fürchterlich über das
Ziehen in meinem Nacken und die im Hörspiel penetrant auftretenden Intrigen,
Vergewaltigungen und aufdringliche Musik ärgerte. Eine Gehirnhälfte dem
Hörspiel gewidmet, die andere kalkulierte, warum ich eigentlich den vollen
Tagespreis bezahlen soll, wenn ich grad mal eine halbe Mahlzeit am Tag zu mir
nehme, fast alle Erledigungen selbst verrichte und nachts nicht mal die
Möglichkeit habe zu schlafen, bzw. diese in meinem Bett zu verbringen. Mit blank
liegenden Nerven kehrte ich erst um 6:30 zurück ins Zimmer, in dem meine
Genossin soeben mit dem Grande Finale beschäftigt war, aber nur noch in Piano.
Nachdem ich sie mit etwas erzwungenem Lächeln über ihr Nachtbetragen
aufklärte, entschuldigte sie sich wieder mehrmals und es war ihr sehr peinlich
und unangenehm.
7:23
Gleich gibt es wieder Frühstück, hoffentlich einen Kakao für mich, den habe
ich nun bitter nötig, wenn mensch bedenkt, welch grausiger Chemomarathon mir
morgen noch bevorsteht. Mein Körper ist so müde, ich spüre ihn nicht mehr.
FLASH: Der Arzt kommt mit dem Corti und mich streift ein Dejavue der
Lightfassung. Zwei Stunden Tropfen beobachten und auf die vorgegebene Zeit
abstimmen. Blutdruckmessen, Kriegsmalltalk.
18:30
Allein und verlassen, der Abschied lief nicht ohne Tränen und ohne Umarmungen
über die Bühne. Allein bin ich auch geblieben. Die Kopfhörer in das leere
Wasserglas gelegt und schon herrscht hier Raumklang bester Billigqualität, ich
singe auch etwas laut mit, wenn ich schon so alleine bin. Der Pfarrer kommt
auch. Vergessen hat er mich nicht, aber dass ich atheistisch bin und so segnet
und bekreuzigt er mich nach dem Smalltalk und dem vergeblichen Versuch mir
Ikonenbilder von einer Jennersdorferin mehr oder minder ``anzudrehen“. Von
wohl fühlen bei diesem Ritual über und auf mir kann nicht die Rede sein. Um‘
s Abendessen bin ich mehr oder weniger drum rum gekommen, nachdem es sich beim
Mittagessen um Reisaufauflauf und Kompott gehandelt hatte und ich wie immer bei Süßspeisen
einfach nicht NEIN sagen kann. Dann noch literweise Wasser in
allen Variationen, mit oder ohne Sprudel, kalt, zimmertemperiert oder heiß. Nun
sehe ich aus, als hätte ich die gesamte Zeit hier damit verbracht, mich nonstop
voll zu stopfen, beschissenes Cortison! Die Visite wird auch noch erwartet, damit
alle Pflichten für heute erledigt sind, eine lange, schwüle und kaputte Nacht
ihren Lauf nehmen kann und ich dann morgen den letzten vollständigen Tag hier
mit Ach und Krach hinter mich bringe! Das können ja glorreiche Ostern mit sich
konstant haltender Übelkeit werden. Mein esskrankes Hirn sagt mir: „Gut so!
Vielleicht doch auf die Antikotztabletten verzichten?“. Mein Körper fühlt
sich nicht gut an, auch mal abgesehen von esstechnischen Gewissensbissen.
20:20
Telefonat. Der knallorange Vollmond hinter mir. Jetzt fühle ich mich noch
unwohler und trauriger und depressiver und unruhiger und die Angst vor der Nacht
ist nun eine andere, aber auch größere. Das Zimmer aufgeheizt wie ein Backofen
-Schmerzgrenze! Noch einmal werde ich die hoffnungsvolle Frage stellen, ob es
denn möglich sei, den Heizkörper abzustellen. Lieber wäre mir kalt als warm,
das packende Gefühl in der Seite ist schon luftraubend genug.
20:45
Na, wenigstens ein Schrägfenster ließ sich noch kippen, auf das es wirke.
Süßer Schlaf hol mich endlich heim und lulle mich ein in deinen zarten
Armen....
17. April 2003, Donnerstagmorgen
7:15
Mit beträchtlicher Gewalteinwirkung bekam ich gestern Nacht auch noch das
zweite Kippfenster ganz geöffnet und binnen einer Stunden veränderte sich das
Raumklima von tropenschwül in frostbeulenkalt. Und so, noch mit Ohropax gegen
den Straßen- und Nachtschwesternlärm ausgestattet, konnte auch ich endlich
schlafen, bis mich Unruhe und Gedanken um 4 erneut zu quälen begannen.
Und nun steht mir eine sehr lange Quälstrecke bevor, und so wie ich die
Zustände auf der Internen mittlerweile einschätzen kann, wird es noch etwas
länger dauern, bis diese beginnen wird.
7:27
Der Zeitungsmensch kommt und fragt mit seiner piepsigen, leisen Stimme (ich habe
nebenbei erwähnt noch nie einen Inder laut und mit tiefer Stimme Deutsch
sprechen hören) zum Türspalt herein: „Krone oder Kurier?“. Ich winke ihm
verneinend aber freundlich ab. Die Frühstückskolonne rollt über den Flur;
Tassen- und Flaschenklappern.
7:39
„Kaffee oder Tee?“
„Kakao bitte, ich nehme immer das, was nicht angeboten wird.“
Grinsend werfe ich meine Krampflöser ein und friere etwas wegen dem
plötzlichen Durchzug. Anscheinend entflammt auf dem Flur eine Kakaodiskussion,
ist mir etwas unangenehm, das Pulver scheint alle zu sein. Wieder Ärger mit den
angeblichen Calciumbrausetabletten, die sich nie auflösen wollen. Ich
zerbrösle sie Notbehelfs mit den Fingern. Das nächste mal füge ich dann auch
noch den Mörser meinem "LKH-Überlebensequipment" hinzu. Jetzt aber erst mal
Kakao. ``Wohlschmeckend“ war auf der Verpackung der Brausetabletten zu lesen,
was ich nicht ganz nachvollziehen kann, außer ein Hauch von Waschpulver mit
einer Note alter Kochschokolade ist jetzt trendy. Aber immerhin der Kakao
schmeckt herrlich.
7:53
Der Himmel ist babyblau und mit weißen Wolkenpünktchen übersät. Ein GUTER
Tag für eine Chemotherapie. Und ich habe nichts besseres zu tun, als mich
wieder mal darüber zu ärgern, dass ich schon wieder vergessen habe, wie sich
diese Wolkenform nennt. Das sind dann diese sich häufenden Momente, in denen
ich mir mein Bücherregel mit den Bestimmungsbüchern herbeisehne. Meine
Fingerspitzen riechen nach erbrochener Milch; ``wohlschmeckend“, PAH! Die
linke Hälfte meines Oberkörpers fühlt sich heute an, als wäre mir im Traum
knabbernderweise ein Hai begegnet. Ich knicke auch leicht nach links, als fehle
da ein Stück. Sehr angenehm, aber es gäbe schlimmeres als so ein popeliges
luftraubendes Korsettgefühl. Ich beginne aus Langeweile meine zweite Flasche
``Juvina Mild“ an diesem Morgen, und zu meinem Ärger über die Wissenslücken
die Wolkenformationen betreffend kommt noch die frustrierende Frage nach „Rauch-
oder Mehlschwalbe“ hinzu. Es handelt sich hierbei um die zwei Topfavoriten,
wenn es darum geht, jedes mal nachzublättern, es sich aber immer noch nicht
merken-könnens. Selbst das bewährte Eselsbrückenverfahren hat fehlgeschlagen.
8:40
Allmorgendlicher Exkrementecheck. Faszinierend, was nicht alles in einem
Krankenhaus so an Ekel und Tabu verlieren kann. Na ja, wenn sie’s unbedingt
wissen wollen...
Die Chronik des GRAUENS!!!!
10:05
Das Isoton hängt, heute auf zwei halbe Liter Raten, da es keine großen mehr
gab. Schön, wie der Arzt mir die Prozedur, die ich wahrscheinlich schon besser
als er kenne, erklärt.
10:25
Visite. Eierverstecksmalltalk. Und noch ein Medikament auf meiner ellenlangen
Liste gegen die Müdigkeit, ob ich mir das noch leisten kann?
10:40
Die erste Flasche ist leer. Auf den Flur Walter hinter mir herziehend watscheln
und Nachschlag erbitten.
10:44
Nach kurzer Verwirrung auf dem Flur, obwohl mensch mich nur fragen oder mir
zuhören müsste um solche Verirrungen gar nicht erst aufkeimen zu lassen, hängt
der zweite Teil vom Isoton.
11:38
Erneut auf den Flur watscheln und nach der zweiten Vorspeise fragen. Ich
entsinne mich, dass es nun NaCl zum Nachspülen geben sollte.
11:47
Zwei Spritzen mit NaCl zum Nachspülen und jetzt eine kleine Flasche mit
Navoban.
11:53
Fläschchen leer, und da kommt die Ärztin schon angeschossen. Unheimlich, als
ob sie es gewittert hätte.
11:55
Endoxan hängt und kämpft sich in meinen Körper. Aus Frust esse ich das Mittag
heute, und habe jetzt schon ein schlechtes Gewissen deswegen. Mensch, es waren
doch max. 500 kcal, aber es tröstet mich nicht und ich möchte kotzen.
13:00
Endoxaninfusion mit einer unglaublichen Präzision beendet, während Besuch von
den Nebenwirkungen ablenkt. Fast zeitgleich komme ich in den Besitz einer neuen
Zimmergenossin mit leichtem Schlaganfall. Hoffentlich kein Schnarchfall.
13:12
Urbason, es tröppelt schon, und soll in ner' halben Stunde drinne sein, na ja,
das will ich sehen. Das Endoxan hat sich seinen Weg durch meine Nasenschleimhaut
und durch die Stirnhöhlen gefressen. Mein Körper ist nun in einem etwas
desolaten Zustand.
13:45
Mit 3 Minuten Verspätung, aber doch. Wahnsinn, ich bin fertig.
Hochrechnung am Rande:
1000ml Isoton
8ml NaCl
100ml NaCl mit Navoban
1000ml Endoxan
500ml NaCl mit 500mg Urbason
macht unterm Strich etwa 2 ½ Liter Flüssigkeit intravenös direkt durch mein
Herz gejagt. Und jetzt vollkommen erschöpft. Armes, kleines Herz, ich habe
Mitleid mit dir.
18:25
Ich habe lange mit mir gekämpft um ein Bild zu zeichnen. Eigentlich musste ich
mehr mit mir ringen den Kopf nicht auf den Tisch knallen zu lassen, die Augen
hatten permanent auf Standbymodus geschaltet. Und ich glaube, ich habe meine
etwas seltsame Situation erstaunlich gut getroffen. Wieder dieses befremdende
Gefühl, wenn ich vor dem Spiegel stehe, wenn ich über mich nachdenke, wenn ich
versuche mich zu fühlen. Ein ruhiges Gefühl, verdächtig ruhig. Mein Körper
ist müde, ich habe Mühe mich aufrecht am Tisch zu halten. Aber was bleibt mir
als den Schlaf für die Nacht aufzusparen. Und mich von meinen ``fetten“
Gedanken abzulenken, die mich selbst wieder nur auf das letzte reduzieren. Ein
trauriges Bild, ein Bild der Stille, mehr verrät es nicht, wie meine Seele, die
an diesem Punkt der Therapie und des hier seins schweigt wie unzählige male
zuvor. Vielleicht eine Momentaufnahme der Unendlichkeit...
Ich fühle mich alt, sehr alt und schwach. Ob ich mich jemals daran gewöhnen werde können? Wahrscheinlich wird man auch älter wenn man hier ist, die Zeit verrinnt schneller und wird einem selbst doch als nicht verstreichen wollende Ewigkeit serviert, bei einem Mahl, bei dem es keine Absagen geben kann.
Meine Zimmergenossin sitzt auch seit Ewigkeiten auf ihrem Bett und starrt mich gelangweilt an. Ich spüre ihre Blicke und möchte ihrem Blickfeld entfliehen. Kann sie nicht etwas anderes tun? Lesen? Fernsehen? Irgendetwas, nur mich nicht mehr anstarren? Eine Nacht noch alleine, das wäre wohl besser gewesen. Ich gebe es auch auf ein Gespräch anzuzetteln, ich fühle mich dafür viel zu erschlagen. Je länger sie mich anglotzt desto fetter fühle und sehe ich mich. Ist die Sonne noch nicht untergegangen? Die Zeit kriecht.
18. April 2003, Freitagmorgen
8:15
Das Cortison blubbert in mich hinein und mein Schädel dröhnt noch von gestern
Nacht. Ich dachte erst, alles würde gut werden. Und so schlief ich bald ein.
Leider nur bis kurz nach 22:00, als ich durch meine wirklich guten Ohropax ein
Gejaule vernahm, das an Intensität zunahm. Eigentlich handelte es sich um
Gesang, und ganz genau betrachtet um lediglich eine Strophe, die da lautete: Und
deine schönen, blauen Augen. Vielleicht kann man es sich so besser vorstellen:
UUUUNNNDDD Deeeeiinnne schhÖÖÖÖÖÖNNNEN BLAAAAAAAAAAAUUUUUUEEENNNN
AAUUUGEENN!!!!!!!!!!!!!! Begleitet von einem Pfurzorchester. Ich dachte zuerst,
ich würde träumen, doch als ich die Ohrstöpsel ploppenderweise aus meinen
Ohren zog und mir erstmals ihres Klangvolumens bewusst wurde, lagen meine Nerven
wieder blank. Verwundert darüber, dass die Nachtschwestern es nicht vernommen
hatten und ich den beiden G`s (Gerüche und Geräusche) entnommen hatte, dass
sie sich wohl in die Hose gemacht hatte, zog ich mir was über und torkelte raus
auf die Station, um meinem erneuten Leid kundzutun. Mindestens 5 Minuten hatte
sie mich gequält, ich befürchtete schon dass sie noch einen Schlaganfall
erlitten hätte und total durchdrehen würde. Darum kehrte ich nur widerwillig
in mein Zimmer zurück wo ich lange wach lag, mit einem kalten Schauer im Rücken
und einem Panikgefühl in der Magengegend. MEINE GÜTE, hier lernt man noch wie
SCHÖN Altwerden sein kann! Schicksal, ich flehe dich an: Lasse wenn ich 40 bin
vom Himmel einen Blitz herabfahren der mich erschlagen möge!! Und jetzt, jetzt
fühle ich mich wie ein zerpflügter Acker und warte auf die Visite um noch
Fragen loszuwerden. Mein Magen bedankt sich bereits für die Chemotherapie,
dennoch, das Kipferl lachte mich wortwörtlich vom Frühstückstablett aus an
und ich schob es mir stückchenweiße in den Mund und spülte mit etwas sauer
schmeckendem Kakao nach. Keine Endorphine, kein Glücksgefühl. Mein Gesicht ist
zum Glück wieder abgequollen, auch die Entzündungen haben sich über Nacht
gelegt, vielleicht sollte ich mich darüber freuen. Und auch darüber, dass es
an den Ostertagen wohl zu keinen Fettpolsteranreicherungen mittels diverser
Festgelage kommen wird. Die letzten Schlucke vom Abendwasser schmecken
beschissen. Und wieder kommt sie, diese Leere und Langeweile und ich frage mich
erneut ob meine Zimmergenossin heute wieder vor hat, mich permanent von der
Seite aus anzustarren, bzw. tut sie es bereits. 60% Urbason habe ich geschafft,
danach werde ich mir den Krankenhausmief erst mal abschrubben um mich wieder wie
ein ``junger“ Mensch fühlen zu können.