6. Februar 2004, Freitag 15:25
Alle Erstuntersuchungen hinter mir sitze ich am Tisch am
Fenster im Zimmer Nummer 9 und warte darauf, dass endlich die erste
Urbasoninfusion zum Einsatz kommt, Zugang ist bereits gelegt.
Der Himmel in ein unwirkliches aschgrau getaucht, der
Ausblick mehr aus- als einladend, die anfängliche Euphorie legt sich allmählich,
aber immerhin hat mir das Schicksal eine sehr nette Zimmergenossin beschert.
Mehr gibt es im Moment auch nicht von der LKH-Front zu berichten....
18:33
Die erste Infusion ist geschafft und dieser Ekel erregende
Bleigeschmack macht sich wieder im Gaumen breit und spätestens jetzt erfasst
mich die Angst vor den Tagen nach dem Krankenhaus, an denen ich mich wieder nach
Wände hochgehen fühlen werde. Und die Angst vor dem erneuten Totalanfang, vor
dem ersten Lauf, den damit verbundenen Schmerzen, dem eventuellen Scheitern.
Computerspielen vermag auch nicht mehr als meine Nerven blank zu legen...
7. Februar 2004, Samstag 3:43
Mein Schädel dröhnt und mein Magen hängt bleischwer in
meinen Eingeweiden. Egal welche der tausend Positionen, in die ich mich auch
brachte, verhießen nur einige Sekunden Gemütlichkeit und einen weit entfernten
Vorgeschmack auf Schlaf. Um etwa Mitternacht begann meine Zimmergenossin Maria
wie bereits angekündigt zu schnarchen, nicht laut, aber unbeirrbar ausdauernd.
Meine nagelneuen Ohropax hielten was sie versprachen und so schlief ich bis
jetzt, weniger durchgehend als unruhig. Meine OP-Narbe ziept, durch das Fenster
dringt tatsächlich schon Straßenlärm, es ist stockduster und meine Augen müssen
sich erst brennend daran und an den Bildschirm gewöhnen. Im Flur hört man das
leise, kontinuierliche Piepen eines EKG-Gerätes unterstrichen von leisem Stöhnen.
Gummiräder rollern hart über den PVC-Boden. Das Schwesternlicht auf dem
Kabelkanal über den Betten ist nicht unbedingt schlaffördernd und nervt mich
sogar jetzt, da ich wach bin.
Ein Schrei zerreißt die Stille am Flur; Gesänge des
Schmerzes....
So sitze ich hier, mehr recht als schlecht auf dem
ultimativ bequemen Sessel in meine Decke gewickelt, lausche den Geräuschen, die
mich kaum noch zu beunruhigen vermögen, bei jedem Blinzeln, das beinahe
hypnotisch-langsam von statten geht, kratzen meine Augenlider über die
brennenden Augäpfel, zudem sind meine Schultern total verspannt, da mir der
Schlaf übermächtig schwer im Nacken liegt.
Immer wieder erhallen orientierungslose Rufe in die Nacht.
Ich denke darüber nach, wie gnädig mein Körper sich bei
diesem Schub verhält und mich bis jetzt ziemlich krampffrei dahinsiechen ließ.
So etwas verlangt nach einer Portion Anerkennung, oder nicht? Nach der Standing
Ovation für meinen Körper und vor allem für mein zersiebtes Hirn komme ich im
Geiste zum nächsten Punkt: Wieder ins Bett und einen neuen Versuch starten,
zumal mein Getippe und das Surren des Laptops Maria aus dem Tiefschlaf und dem damit einhergehenden Scharchen befördert
hat. Die Stille scheint verlockend. Doch was, wenn es nicht klappt? Den PC auf
ein neues anwerfen? 4:19 Uhr, immer noch kein Silberstreif am Horizont und immer
noch keine Antworten auf meine Fragen, wie belastend! Ich werde es doch
wagen....
5:44
Es war ein Fehler, ich sehe es nun ein. Das Ende meines Körpers,
sprich die Füße, die zuständige Regierung für den Bereich Bein und Co
erhielt eine Fehlermeldung vom andren Ende des Körpers und brannte förmlich
vor Wut. Ohne zu Zögern wurden Boten entsandt und in Windeseile formierten sich
die Muskelfasern meines linken Unterschenkels zu einer scharf bewaffneten Armee,
die Richtung Oberschenkel entsandt wurde. Auf der Höhe des Knies kam es dann
zur Schlacht, bzw. knallte der Unterschenkel gegen den spürbar unbeeindruckten
Oberschenkel –sprich: ein Krampf ward geboren! Wer an den Teufel denkt, ruft
ihn somit auch herbei und so dachte sich das rechte Bein ebenfalls in den Kampf
ziehen zu müssen gegen die übermächtig werdenden Laufmuskeln da oben.
Aufgestanden, notdürftig in Klamotten geschlüpft,
losgezogen, um eine Kopfschmerztablette zu organisieren. Ich bin so müde... Der
Vollmond grinst milchig beim Fenster herein. Wer braucht schon Schlaf? 6:00 Uhr,
die Kirchenglocke läutet irgendwo und eine zweite gesellt sich mit etwas Verspätung
hinzu. Nicht mal im Glockenschlag finden Evangelen und Katholiken zusammen.
Meine Beine kribbeln schrecklich und fühlen sich nicht
nach Heilung oder Harmonie an. Das nächste mal schnalle ich mir nicht nur ein
Kuschelkissen, sondern gleich mein ganzes Bett auf den Rucksack, den
Wasserkocher natürlich nicht zu vergessen.
13:04
In Anbetracht meines beträchtlichen Schlafmangels bin ich
ziemlich gut drauf, bzw. total und völlig überdreht. Es muss das Cortison
sein, der Fall kommt bestimmt noch. Auch die Angst vor meiner MS und den möglichen
Folgen will nicht eintreten. Ich bin ziemlich gelassen und entspannt, war soeben
kurz draußen und bin die Treppen hochgerannt, um mich fit zu halten. Das
Mittagessen hab ich auch tapfer verweigert wie das Frühstück, was mich
irgendwie mit Stolz erfüllt. Ich knabbere an ein paar Fitnessflakes herum, und
stelle trotzdem fest: Keinen Hunger, keinen Appetit, einen Klotz im Magen, einen
schwer schmeckenden Klotz im Hals, PERFEKT!!!! Und so ertappe ich mich doch tatsächlich
dabei, dass ich mich zu langweilen beginne. Für meinen aufgedrehten, rasanten
Zustand ist meine Zimmergenossin wahrlich nicht prädestiniert. Noch eine kleine
Info von der Venflon-front: Wie befürchtet war der gestrige Zugang zu und ich
musste meine Arme heiß machen, sodass all die scheuen Venen aus dem
Fettdickicht hervorkamen. Eigentlich könnte mensch Wetten abschließen, ob der
2. Zugang seine Funktionalität morgen wieder an den Nagel hängen wird. Mir
egal, sollen sie mich doch stechen, sollen sie sich doch ärgern. Tausend Ideen
flitzen durch meine Gehirnwindungen; wenn dieser Zustand sich bis heute Nacht
nicht legt, wird’s wieder nix mit dem gesegneten Schlaf. Wie auch, hab ich
mich doch heute nach meiner gescheiterten Flucht nicht segnen lassen, als mich
der Pfarrer fragte, ob er dürfe. ,,Och nöööö, besser nicht.``, das ist noch
drolliger als beim letzten mal als ich ,,NEIN DANKE!`` antwortete.
8. Februar 2004, Sonntagvormittag
9:35
Teil drei wird wortwörtlich eingeläutet von nicht enden
wollendem Glockengeläut. Ja, ich hab geschlafen, wie ein Stein, aber wieder nur
4 Stunden, um 2:30 war Schluss mit Genesung und Erholung. Scheiß
Cortison. Meine Kopfhaut ist bereits sehr angespannt und brennt, die
restliche Haut wird mit entzündlichen Schritten in Kürze folgen. Ach, was
schreib ich es denn noch nieder wenn es doch ohnehin immer das selbe ist... Das
einzige was mich noch zur Verwunderung bringt ist die Wasserwaage auf meinem
Krankenlager. HAHA, wie spannend.
Meine Wangen sind knallrot angelaufen, angehende Schamesröte. Der Rest drum rum ist aufgedunsen und entspricht nicht meinem Hungerstatus. Mineralwasserflasche Numero 2 leert sich soeben und zwingt mich erneut auf den Flur. Eine andere, wichtigere Flasche steht heute nicht zum ersten mal still, doch nach einer Spülung und Ermunterungsversuchen öffnen sich die Pforten von Zugang Nummer 3 wieder und es kann mit ziemlicher Verspätung staufrei und mit voller Fahrt weitergehen. Ein Wochenende im Krankenhaus ist schon etwas laaaaangweiliges, mir vergeht sogar mein Sarkasmus, es gibt ja auch nichts zu erzählen. Meine Laune lässt ebenfalls arg zu Wünschen übrig. Vom Höhenflug ab in den cortisonbedingten Keller- Bumms! Unruhe und Übermüdung ergeben ein unerträgliches Gemisch. Flasche 4 ist leer und mein Schlaffall auf den Tisch hat keine Zeit gekostet. 15:40 und keine Hoffnung in Sicht. Morgen noch einen gesamten Tag... Alles schleppt sich, hatte ich doch gestern schon das Gefühl bereits ewig hier zu sein. Und was ich beginne vermag ich nicht zu ende zu bringen. Ich fühle mich so unendlich leer und das große Hungern trägt seinen Teil dazu bei.
9. Februar 2004, Montagmorgen
Ein neuer Tag, ein neuer Schmerz.
Das Elend nimmt tropfend seinen Lauf.
Ein Hauch von Tod hing seit gestern unheilvoll im Flur, es
hat mich mitgenommen, ich hatte Mitleid, es hat mich aufgewühlt, der Schlaf
konnte nicht kommen.
Nun steht mir meine letzte Nacht bevor, ich bin nicht mehr
guter Dinge, für was auch. Solange morgen mit dem Heimtransport alles gut geht,
bin ich zufrieden. Dieses mal habe ich wohl die Möglichkeit, das Urbason zu
Hause ausschleichen zu lassen, was für mich einer großen Erleichterung gleich
kommt. Der Gedanke an „kalten Cortisonentzug“ lässt mir jetzt schon einen
unangenehmen Schauer den Rücken runter laufen. Halb 9, die Nachtschwester ist
bereits auf dem Weg, das Notebook und ich werden noch ein wenig an meiner Müdigkeitsqualität
arbeiten, wie auch immer. Traurige Klänge in den Ohren, wieder kommen Tränen,
ich fühle den Text, ich spüre die Worte. Die Endlichkeit hat mich wieder für
einen Moment mehr der Zeit
eingefangen und öffnet mir die Augen. Ist es Angst? Ist es Erhabenheit über
ein längst vergessenes Wissen?
Es ist dunkel, doch kein Schlaf küsst mich in den Zustand
der Unschuld. Es ist noch früh, gedulde dich!
Die Geräusche im Flur werden bald abebben, Stille wird
einkehren, hie und da zerrissen durch einen Schrei oder das unnachgiebige Piepen
einer Zimmerglocke. Ich fühle Enttäuschung und Ärger über mich selbst weil
ich schwach geworden bin und heute gegessen habe. Es brodelt in meinem Magen,
Zorn und Abendessen verprügeln sich und lassen mich ratlos und vor allem
schlaflos zurück. Und unsagbar leer...
Wenn Maria ihre Nachtsonate anstimmt wird es dann auch für
mich Zeit dem Schlaf eine Chance zu geben, auch wenn es nun erst 9 Uhr ist.
21:11 und die letzte Sonate des Tages wurde soeben angestimmt; ich befürchte eine lange Nacht erneut ziemlich entnervt und schlaflos vor mir unausweichlich liegen zu haben. Selbst die lauter werdende Musik vermag nicht ihre Atemlaute von meinen Ohren fern zu halten. Da kann nicht an Schlaf zu denken sein, die Ohropax werden kläglich versagen. Heute morgen bzw. nacht begann ich gegen den Bettschrank zu klopfen, um sie aus der REM-Phase zu befördern und ihr Schnarchkonzert etwas einzudämmen. Nur wie lange soll ich das machen? Schlafen und Klopfen geht nicht gleichzeitig. Ich bin heute tatsächlich um 2:38 aufgewacht da ich im Schlaf einen Ohrstöpsel verloren hatte.
Es wird ein Desaster werden... Und ich muss mich erneut fügen...
10.Februar 2004,Dienstagmorgen
Nach Donner und Blitz und Sturmböen mit Sonnenschein geht’s wieder ab in den Winter. Die Nacht verlief dann doch noch schnarchfrei, aufgrund der Tatsache, dass Marias Schafmittel halbiert wurden und sie nicht wie in Narkose ins Bett geprügelt da lag sondern sich drehen konnte und auf der Seite liegend keinen Mucks mehr von sich gab. Meine Schlaflosigkeit wurde aber durch Herzrasen und kleine Panikattacken aufrecht erhalten. Nun zittert mein Körper wie verrückt und das Tippen fällt mir schwer.
Warten auf die „halbe Stunde vor dem Essen- Tablette“ erweist sich aufs neue als pure Zeitverschwendung und der Kakao wird nur unnötig kalt. Immer das selbe Desaster. Vermerk fürs nächste mal: Alle Tabletten selbst mitnehmen! Ich könnte einen Krankenhausguide verfassen, ganz im klassischen Stil eines Reiseführers. Da würden dann so tolle Kapitel vorkommen wie „Wann ist der beste Zeitpunkt das Flurbad zu entern“, „Nicht auf das Tablettenjausenpaket vergessen“, „Wie sollte man mit einheimischem Pflegepersonal während der Morgenstunden umgehen“, „Auf Du und Du mit der Leibschüssel“, „Ohropax könnte dein Leben retten“ und für die Jüngeren unter uns stylische Zusatzinformationen wie „Dr. Dr. Prof. Univ. Doz. Primar so und so Arschgekrieche ist MEGAOUT!“. Damit werde ich sicher berühmt und es wird Sonderauflagen für ausländische Krankenhäuser geben womit ich mir im Autorenbusiness international einen Namen machen werde...
Der Schnee kommt in dicken Flocken vom Himmel gefallen, als ob es den Februar über nie anders gewesen wäre, vergessen sind die 20°C der vergangenen Woche, es ist 8:45, ich liege immer noch im Bett, ungewaschen, ohne vollzogene Zahnhygiene, warte auf ein Wunder, bzw. die bereits erwähnte Knochentablette, alltagstaugliche Kleidung wurde noch nicht angelegt, ich möchte die letzte Infusion im Bett dahinsiechend genießen.
Zuerst ging beim Arzt die Sonne auf, als er mit Besteck eintrudelte und den bereits gelegten Zugang erblickte, die Sonne ging aber noch schneller wieder unter als sich binnen Sekunden der ganze Mist unter der Haut zu stauen begann.
Den linken Arm im heißen Wasser hing ich nun über dem Waschbecken und putzte mir die Zähne und kam mir mehr als albern vor, zumal die Tür weit auf stand und ich in Shorts und Unterhemd und mit hervorquellendem Bauchspeck mehr oder weniger zähneputzend auf dem Präsentierteller saß. „Warten auf Gordot“ war gestern, „Warten auf den Zugang“ ist von heute. Warten, warten, warten, wiederhole ich mich? Alles dreht sich.
Meine Zimmergenossin hat begonnen mich von vorn bis hinten zu bedienen, ich fühle mich betüdelt wie ein kleines Einzelküken.
10:35
Nach einem kurzen Fischfang auf hoher See konnte ich eine
prachtvolle Ärztin angeln, die sich sogleich etwas gequält ans Werk machen
konnte. Erneut kam es zu einem Rückstau und einer riesen Sauerei auf dem
Bettlaken, männliche Verstärkung wurde eingeholt, das Problem, dieses mal am
Besteck und nicht an mir liegend, wurde rasch und erfolgreich behoben.
Soeben beginnt das Drama aber von neuem, ich befürchte, es geht erneut daneben. Eine Cortisonbeule lächelt verführerisch unter dem Pflaster hervor und pocht und pocht.
Wieder warten auf den Arzt. ARG!
11:40
Jetzt aber -Hossa!