VErfall, Krankenhauslivebericht, Danach -Kortisonstoßtherapie bei MS Schub 2005

 

25. April 2005, Montag frühmorgens

Vielleicht besitze ich doch paranormale Fähigkeiten: Der Infusionsautomat fordert zum 4ten Mal in Folge laut piepsend die Aufmerksamkeit des ohnehin schon entnervten Stationsarztes…, ARG, 5tes Mal!

Ich werde von diesem schrecklichen Automaten erlöst, analog ist besser. Mein Brustkorb schmerzt beim Atmen; es war eine anstrengende Wiedersehensnacht. So ne große Brotschaufel sollte neben jedem Bett liegen, um den schnarchenden Partner umlagern zu können. Eine laute, kurze Nacht voller schmerzhafter Krämpfe, wie aus heiterem Himmel. Ach was, „die MS macht keine Schmerzen“. Radio Steiermark dudelt wie eh und je mehr rauschend als klar. Positiv betrachtet verlieren die Schlager an Grauen; ich werde dennoch zum MP3 Stick greifen, denn was ist schlimmer: Kopfhörer bei Migräne oder „Liebeskummer lohnt sich nicht mein Darling..oooohhnooo!“, uaahahahaaa, schnell Ohrstöpsel rein.

Ich stelle mir wieder vor ich habe Krebs und verbringe die meiste Zeit meines noch verbleibenden Lebens hier, in diesem Stuhl, umgeben von schleimigem Schlagergedöns, an einer Maschine hängend, die nicht funktioniert und noch mehr Zeit meines schwindenden Lebens in Anspruch nimmt. Herrliche Vorstellung, um gleich zur nächsten zu kommen: Werde ich dieses mal fett? Ich hätte den Beipackzettel nicht lesen sollen. Mir schwarmt nichts Gutes als mein Gesicht langsam erhitzt. Mondgesicht, mir graut. Fettumverteilung, GRUSSEL!!!

Ah, heißen Grüntee. In der Tasche liegt noch eine Dose mit mundgerecht geschnittenen Birnenstückchen. „Uh Lapaloma blanka..“, kriecht während eines Liedwechsels an den Kopfhörern vorbei direkt in meinen hämmernden Schädel. Das „Fettmachgesöff“ tropft langsam, zu langsam in meinen Organismus. Ob ich’s wagen soll am Regler rumzupfuschen ? Keiner guckt, die Veränderung ist unmerklich. Die Bewegung etwas zu hektisch, die Nadel schmerzt in der Haut. Ich sollte die Birne futtern ehe meine Geschmacksnerven in den Streik treten. Krampf im rechten Bein, stopfe ich mir die Birnenfragmente in den Schlund, ohne zu wissen ob ich überhaupt Hunger habe.

Nichts los in der Onko; ich sitze seit ner halben Stunde mehr oder minder allein im Therapieraum und warte darauf das sterile “Feld“ mit Birne zu bekleckern. Eine Frau tritt plötzlich an meinen Stuhl. Verwundert nehme ich die Kopfhörer raus und sie meint sogleich, sie würde sich nur die entzückende Figur hinter mir auf dem Fensterbrett ansehen. „Mein Gott ist die süß!“, gemeint ist der Accesoirekrempel, ein liegendes Mädchen, die Arme auf ein Buch gestützt, eine Gipsfigur, die ich schon immer billig und hässlich fand. Krempel. Ich lächle sie an und nicke. Jedem das seine, ich würds mir nicht hinstellen. Ok, ich würd mich nix irgendwie irgendwo hinstellen. Ich dreh noch mal am Regler; auf eine dreiviertel volle Flasche in nur einer Stunde EX haben ich und mein Körper keine große Lust. Letzterer schmerzt wie nach einem Marathon von was auch immer.

Anscheinend ist doch noch jemand im Raum, im toten Winkel hinter dem Schrank. Zum dritten mal betätige ich mich am Tropfregler…nein, der Arzt kommt soeben um die Ecke, sprich: Schrank geschossen und erledigt das für mich. Wo sind die Patienten? Alle ausgestorben? HAHahahaa..hust… sehr witzig..

Effektiv war die Arbeit des Arztes nicht unbedingt. Mein Rythmusgefühl weist mit dringlichst darauf hin, dass ich so nicht fertig werde. Aber unter ständiger Bewachung bleibe ich auf meinen Fingern hocken, mit Salsa in den Ohren nicht unbedingt eine leichte Übung. Ich fange an darüber nachzudenken, was die Therapie dieses mal an Überraschungen für mich bereit hält, die  Rede ist von Nebenwirkungen wie „Pickelface“, „Wasserarsch“, „Futterjunkie“ undundund. Ich bekomme das Bild dieser übergewichtigen Frau aus der Talkshow nicht aus dem Kopf. MEINE GÜTE!!! Bereits ein Kilo mehr wäre schon eine ausgewachsene Katastrophe!!! Ah! Eine Stunde um, 35% intus und ich bemerke die erste Veränderung an meinem Gaumen. Auch das Raumklima verändert sich, eine neue Patientin, direkt gegenüber. Der Arzt ist sichtlich erleichtert mal einen „unkomplizierteren Fall“ behandeln zu können. Achja, Nebenwirkungen. Was stand da von Thromboseneigung? Mir wird übel; kann es wie bei der Chemo anhalten und die „Fettumverteilung“ aufgrund ungezügelter Fressattacken verhindern? Meine Güte bin ich KRANK!! Wenn man das hier liest, könnte man fast meinen eine kleine, dürre, hysterische Person, die sich nur von Salat und Rohkost ernährt, hätte das hier geschrieben. Noch eine dreiviertel Stunde, grad mal bei der Hälfte. Der Arzt kommt und dreht schneller, huhuuuu, doch Telekinese. Die Musik aus dem Radio nimmt an Qualität zu während ich erschüttert feststellen muss, nur noch Stuss von mir zu geben; Sätze begonnen aber nicht beendet, Wörter mit fehlenden Buchstaben oder falscher Grammatik. Mein Hirn scheint zugekleistert. Der Minutenzeiger springt ein Stückchen auf seiner Strecke weiter, während Elvis Presley singend in die Knie geht. Halbe Stunde noch, vielleicht entwickelt sich ja ein Gespräch.

Kurz vor Ende wird mir speiübel; ich werde abgehängt und rausche zur Toilette. Aber ich kann mich nicht übergeben. Käseweiß, Lippen tiefrot mit einem Blauschimmer. Hitzewallungen. Aufruf durch die Sprechanlage: „ Frau Furz bitte zur Blutabnahme, Frau Furz bitte!!...“. Ich möchte lachen aber mir ist nur nach Sterben. Zurückgelehnt mit den Händen auf dem Bauch versuche ich bewusst atmend gegen die Übelkeit anzukämpfen. Meine Güte; soll ich so nach Hause fahren???


26. April 2005, Dienstag 5:55 Uhr

Geweckt von Krämpfen irgendwann um halb rum und vom Gesang der Mönchsgrasmücke vor unsrem Schlafzimmerfenster. Abgesehen von ersterem, gibt es was Schöneres und gratis ist es dazu auch noch?

Und gibt es was Schöneres wenn das Gewicht zu solch astronomischer Aufstehzeit Grenzwerte um Kilos unterschreitet? Vor allem wenn frau mit zusammengekniffenen Augen auf dem Folterinstrument unsrer Gesellschaft steht und schlimmeres erwartet? Um so schöner ist es das Geplante auch durchzuführen, sprich: Rein in meinen Punkrock und engem Spaghettiträgershirt.

Mein Körper und mein Geist aufgekratzt und gespannt wie eine Feder, zeugen lediglich meine Augen brennender- und geschwollenerweise von meiner Müdigkeit, der Magenschmerz und dieser widerliche süße Geschmack in meinem Mund von dem was ich gerade mache, bzw. heute wieder vorhabe. Ach, ohnehin bereits halb. Das angeblich locker-luftige Laufen gestern mutierte zu einer laut Pulsuhr Kalorienverschlingenden Tätigkeit weit über den Pulsgrenzwerten. Außer dass meine Lunge gestern leicht rebellierte, ist noch nicht viel passiert. Naja, nach einer Therapie werd ich nicht unverzüglich lungenentzündet umfallen. Trotz allem geh ich heute wieder an den Start, diese schrecklichen Schmerzen nach der Therapie müssen doch irgendwie verhinderbar sein. Word meint soeben, das Wort verhinderbar nicht zu kennen; pfff, du kannst mich mal. Ich dreh mir die Sprache so hin, dass sie in etwa das ausdrückt was ich fühle, und mögen mich nun alle Deutschlehrer dieser Welt erschlagen.

Langsam wird es Dreiviertel und so gesehen Zeit für mich, den Schlepptop auszumachen (HA! Das Wort Schlepptop akzeptiert Word nun wieder…) und mich bereit zu machen: Zähne Putzen, überlegen, ob ich es wage etwas zu essen mitzunehmen, vom Trinken ganz zu schweigen. Aber gestern hieß es, es gäbe Orangensaft auf der Station…hmmm, vielleicht sollte ich das Angebot nutzen, mehr als Kotzen kann ich ohnehin auch nicht.

7:25

Jetzt kommt die Euphoriephase der Therapie; schon bei der Herfahrt musste ich vor Lachen ein paar Tränen drücken, die vorgestellten Mailboxansagen auf Ö3 waren einfach zu komisch. Spätestens jetzt geht diese in Trübsal über als eine junge Frau mit Perücke den Warteraum betritt. Wetten abschließen, wann es heute losgeht, ob mit oder gleich ohne Automat, wieder bis nach 11Uhr oder doch rechtzeitig fertig? Mit oder ohne Zusammenbruch oder Kotzen? Das Waschbecken in der Toilette zeugt von der eigentlichen Sinnhaftigkeit dieser Ambulanz: Massenweise Haare, verloren, zurückgelassen aber sicher nicht vergessen. „Herr Karl“ betritt wie immer überschwänglich und freudig grüßend die Szenerie, als gäbe es nichts Schöneres für ihn uns alle wie wir hier sitzen zu sehen. Schwestern kommen grüßend in der Runde nach bekannten Gesichtern suchend; ein Lächeln sei mir mittlerweile gewiss. Ständig rufe ich wie auf Befehl „Guten Morgen!“ ohne vorher geprüft zu haben, ob ich diesen den jeweiligen nicht bereits gewünscht habe. Warten. Ich kratze mir gelangweilt die letzten blauen Lackreste von den Fingernägeln. Ein Schluck „buntes“ Mineralwasser (wie ich es nun zu nennen pflege) bringt Linderung für den an Verdursten glaubenden Gaumen. Dreiviertel durch, Karl serviert seinen Schreibtischdamen frischen, duftenden Kaffee um anschließend ein paar Schäkereien durch den Warteraum in meine Richtung zu werfen; ein Alleinunterhalter, den man mit Geld auf der Onko nicht  aufwiegen könnte. Alle dick eingepackt, ich in meinem Hochsommeroutfit; ich weiß schon warum!

8:10

Ich darf auf meinem extravaganten Stuhl mit Kuschelkissen und dem Automaten von gestern, der mir heute wohlgesonnener zu sein scheint Platz nehmen. Dann noch ein nettes, intensives Gespräch, das über die Nebenwirkungen hinwegzutrösten vermag. Eine dreiviertel Stunde um; Zeit fürs Frühstück. Irgendwie erscheint der Radio heute extra laut und aufdringlich, der MP3-Player wettert dagegen, nachdem meine Gesprächspartnerin gegangen ist. Kurze Klopause, damit es nicht wie gestern zum Urinstau kommt. Bis auf einmal Meckern, und das noch nach dem er gelobt wurde, arbeitet der Automat fleißig weiter. Halbzeit! Der Raum ist heute mal gefüllt, kein Platz mehr frei, aber ich habe auch keine Lust mehr auf einen kleinen Tratsch und verkrieche mich hinter meinem Tagebuch und zwischen den Kopfhörern. Es war eine schlechte Entscheidung, die Banane und den Fruchtzwerg zu essen, eine gute hingegen das bunte „Wellnesswasser“ mitzunehmen. Ich bin, nebenbei erwähnt, wieder mal die Jüngste. Es kam erst einmal in meiner doch langen Karriere vor, dass es mal einen Jüngeren hier gab, der bekam aber lediglich eine Verdünnung für sein zu dickes Blut und der Altersunterschied betrug maximal nur 3 Jahre. Beruhigend. Den Anblick eines jüngeren Patienten mit Krebs würde ich nicht so einfach verdauen können. Die junge Frau mit der Perücke von vorhin, die nun gegenüber ihre Chemo bekommt, ist schon ein harter Schlag für mein Gemüt, das heute gar schlimm zur Wankelmütigkeit neigt. Die „Aufnahmesexbombe“ rauscht kurz vorbei und mein Blick bleibt wie jedes Mal unweigerlich an ihrem laaaaahhaaaanngen, blonden Haar hängen, laaaanng und dicht; NEID!

Sie rennt noch mal vorbei…; aahhh, schmacht, Neid!!!... Jetzt erst bemerke ich dass eine Mitdörflerin neben mir sitzt. Sie hält mich für meine Mutter und ich beginne über eventuelle Falten nachzudenken. 362ml geschafft. Die zweite Sekretärin kommt vorbeigehuscht. Ein kurzer Blick, es gibt nichts Beneidenswertes zu bestaunen. Ein Kampf um meinen Infusionsautomaten entfacht. Ich biete an, ihn abzutreten und mein Angebot wird angenommen. Wieder bestückt mit der „Rumzickkiste“ von gestern, warte ich aufs erste Piepsen. Ach, 20 Minuten noch, das packen wir beide schon! Die Schlagermusik ist penetrant und kaum zu übertönen, dabei gäb’ es wahrlich Schöneres zu hören als Michelle oder Claudia (nicht mehr so) Jung. Dieses kitschige Liebesgesülze, verpackt in Brachialreime… Wieder kubanischer Rap-Salsa der mich mit vollen, raumfüllenden Klängen rettet. Ich und Salsa? Wer hätte das gedacht. Ich spreche wieder still mit, egal, was man von mir halten mag. Allmählich bin ich über der Zeit und das Ding zögert die Prozedur auch nur unnötig hinaus. Wieder beim Thema, keimt in mir erneut die Furcht davor Diabetes zu bekommen auf. Viele Fragen in mir die keine Antworten bekommen und die Angst nur noch anstacheln. Ich kann die Musik nicht laut genug machen um diesen sich selbst als Musik titulierenden Krach zu übertönen. Meine Ohren Schmerzen bei dieser Lautstärke, aber das Gedudel ist immer noch hörbar. Stört das keinen? Auch beim 2ten Auftauchen der 2. Sekretärin und beim zweiten Mal hinsehen immer noch nichts Tolles zu entdecken (ist das gemein?). Oomph! wettert gegen die Schlagerscheiße an; erfolgreich! Ob ich mich noch durch die Stadt quäle und Einkaufen gehe? Mit welchem Geld für welchen Hunger? Mal sehen. Michelle quakt mir ins linke Ohr; kann man sich die Ohrstöpsel nicht tiefer in den Gehörgang quetschen? Ich hab eigentlich nur noch einen Wunsch: Pinkeln! Und die Zunahme an Bläschen in der Flasche verheißt nur gutes.

Zum Diabetesgespräch kam es auch noch; nun bin ich wieder etwas beruhigt.


27. April 2005, Mittwoch 7:40

Erstaunlich mit welcher Begeisterung auf der gesamten Station Radio Steiermark gehört wird. Selbst die Jüngsten der Ambulanz kleistern sich mit „Fröhlichmucke“ die Birne zu. Ich werde vorzeitig meines Stoffes beraubt, ich befürchte lediglich ihn früh genug wieder zu Gesicht zu bekommen.

Heute ist also die Hälfte geschafft, schon oder erst? Mein Gemüt mag sich nicht entscheiden, zu unstabil mein heutiger psychischer Zustand. Die Euphorie steht auf der Kippe und scheint ein Ende zu finden. Es wird wieder mal Zeit für eine Bestandsaufnahme:

 

1. Tag: Bleizunge, Zuckergeschmack, Hitzewallungen, Magenschmerzen, Kopfschmerzen und Übelkeit setzen ein.

 

2. Tag: Ein plapperfreudiger, euphorischer Zustand mit Beschwerden wie am 1. Tag, Unruhe und Herzrasen setzen ein.

 

3. Tag: Das Gemüt kippt, ein Drahtseilakt der unkontrollierbaren Gefühle, die sich nicht steuern, nur beobachten lassen.

 

Ständig fällt mein Name; die Nervosität steigt. Herzflattern und doch so ruhig und irgendwie sediert. Die Augen wollen heute wieder mal gar nicht abschwellen, wo wir gleich bei einem weiteren Phänomen angelangt sind:

 

3. Tag: Haare werden spiegelglatt und weich, das Gesicht beginnt anzuschwellen. Dennoch blass. Nun besser nicht die Haut berühren, es könnte pickelige Folgen haben!

 

Wieder Kaffeeservice; ein herrlicher Duft. Erst jetzt begreife ich direkt hinter mir einen heißen Heizkörper an der Wand zu haben. Kein Wunder dass ich schwitze… Die Tabletten hab ich heute Morgen auch vergessen, ärgerlich nur, weil die Magenschutztablette auch dabei war. Meine Eingeweide werden sich bedanken.

Wieder mal vergessen die Schwestern nach einem Aufruf die Sprechanlage im Kampfe des Wortgefechts auszumachen. Mein dummes Knie meldet sich heute auch wieder, obwohl es die letzten beiden Tage beim Laufen keinen Mucks von sich gab, was mich optimistisch stimmte.

8:07

Ich sitze.

8:30

Ich hänge. Und nicht nur das: Der Katheder spendete Blut.

Vermerk: Längste Nadel des Hauses (was für ein Gerät) und liegend und der Port spuckt Blut Anmaß.

Ich bleibe gleich so liegen, ich bin so müde und mein Gesicht geschwollen. 45 Minuten später; erste Klopause. Praktisch dass der Automat rechtzeitig zu schimpfen begann. Krankenhaustoilettenspiegel sind so grausam; mein Gesicht gefleckt, aufgedunsen, müde. Es ist schon so lange her, dass ich es zuletzt gesagt hatte: Der Mond ist aufgegangen… trallalla. Das Hörspiel ist spannend; nervig nur, dass die Teile völlig durcheinander auf dem Player liegen und ich alle 4 Minuten erneut die Suche nach dem nächsten Teil starten muss. Dabei bin ich doch so müde und möchte entspannt all das über mich ergehen lassen. Die Aggressivität des Hörspiels ist mir irgendwie in meinem Zustand schon fast zu viel und schwer zu ertragen.

Es ist zu Ende, eine dreiviertel Stunde wird die Prozedur noch in Anspruch nehmen. Mein Magen schmerzt und irgendwie habe ich dennoch Hunger.

Nun bin ich der Musikwahl des Hauses hilflos ausgeliefert und ich bekomme einen Brechreiz von.., ach, was weiß ich! Die Synthiemusik im Background oder der scheiß Text? „Wetten dass sie morgen mit mir ausgeht, wetten dass sie schon freudestrahlend vor ihrem Haus steht..“, ich glaube, alle weiteren Fragen erübrigen sich. Man sollte solchen Exemplaren meiner Rasse das Reimen und vor allem „Musik“ machen bei Strafe verbieten!!! Wo sind meine telekinetischen Fähigkeiten wenn ich sie zum unbemerkten Senderverstellen dringendst’ bräuchte? Wieder muss ich mich fragen ob nur mich dieser Schrott ankotzt. Werbung; wie eine Erleichterung und kurzzeitige Erlösung. Die Bläschen in der Flasche beginnen sich wieder zu sammeln.

„Harmonisierend“ steht auf der bunten Mineralwasserflasche; harmonisierend, das kann ich jetzt gut gebrauchen bei dieser brutalen, akustischen Hintergrundkulisse, die soeben nach den Nachrichten mit  Michelles Gequake wieder einsetzt. Ich muss schon wieder aufs Klo, KNARZ! Vielleicht der Versuch meines Körpers vor diesem „Ist es Liebe, ist es Wahnsinn…“ –Geheule zu fliehen? Unter diesen Umständen beginnt man das Thema „Liebe“ aus einem ganz andren Blickwinkel zu betrachten und zu überlegen, ob es unter diesen Umständen ohne diese nicht besser wäre. So weit kommt’s noch! Mit Vollpower geht’s fließend über in: „ Peter, bei dir beschlägt das Barometer, Sorgen verlegen wir auf morgen..“, oder so ähnlich, egal, es gibt nichts zu beschönigen. „Schanananaaaanananaaaa“, usw. … Krebsgespräche werden getätigt; es fällt nicht leicht absolut wegzuhören. Seufzer liegen in der Luft. Ich setze mich wieder aufrecht hin, in der Hoffnung, so meine Blase etwas zu besänftigen. Ach, Blase, die 10 Minuten noch, das schaffen wir schon, oder?

Blase sagt NEIN. Pech.

Ich sollte aufhören mit ihr zu diskutieren und mich wieder dem musikalischen Grauen widmen. „Verdammt! Du hast mich nicht gefragt. Verdammt! Lässt mir keine Wahl (BOAAHHH, ein astreiner Reim!). VERDAMMMT! DAS muss LIEEEBE SEIN!!!“, ..ja, verdammt noch mal, so wird’s wohl sein. Immer diese hormongesteuerten 40jährigen, die sich immer noch für 30 halten und notgeil fluchend durchs Leben sabbern… Saxophonsolo (erstens: mein absolutes Lieblingsinstrument, kotz, und dann noch vom Keyboard), unterlegt mit einem vom innersten des Herzen kommenden „Ohooohooooooooo“. Die Ausflüge in frühere Zeiten erscheinen auch schon wie die Werbung oder Nachrichten kleinen Lichtblicken ins unendliche Dunkel des Schlagersumpfes gleich zu kommen.

Gleich ist Schluss, ich kann pinkeln und meine gereizten Hörknöchelchen dehnen, strecken und vom Schmalz befreien… Nein, morgen nehme ich wieder Musik mit!


28. April 2005 , Donnerstag 7:30

Seltsam; von Tag zu Tag bin ich früher hier. Um 1:14 wollte mein Körper nicht mehr schlafen, da er diese Uhrzeit gestern Nacht schon toll fand. Wenden und Drehen und Umlagern bis 5. Ich glaube das Schlimmste zur Zeit sind die Magenschmerzen und die damit verbundene Atemnot. Wo wir auch schon bei Tag 4 der Bestandsaufnahme angelangt wären: Trotz Hungerstatus darf ich mich nun offiziell „ Bibimon“ nennen, ursprünglich zu Hause in den Weiten der mongolischen Steppe. Die ersten Hautirritationen, Spannungsgefühl der Kopfhaut stellte sich bereits gestern ein. Drei Pickel; bloß nicht anfassen. Ob ich mich morgen schon verhüllen muss? Es nicht mehr wagen kann das Haus zu verlassen? Das Laufen sollte ich heute sein lassen; meine Lungen pfiffen ganz ordentlich dabei und vor allem danach und da  ich nicht weiß, wie sich eine Lungenentzündung entwickelt und anfühlt, sollte ich heute besser nichts riskieren. Das Schlagerdrama nimmt an diesem jungfräulichen Tag seinen grausigen Lauf. Als seien die hier vertretenen Krankheiten nicht schon tragisch und unbarmherzig genug… Eine paradoxe Situation, die hier dumm-dreist dudelnd am Leben erhalten wird. Nein, ohne Kopfhörer würde ich heute krepieren, zu gereizt mein gesamter Zustand. Aber es gibt noch gut gelaunte Patienten, die ihren Esprit großzügigerweise im gesamten Warteraum wie eine Wohltat verbreiten.

Mittlerweile droht mein Rock mich zu verlassen doch sieht man leider nichts davon. Fettumverteilung? Wassereinlagerungen? Darf ich meinem Unmut Ausdruck verleihen? Die Käsestange in meinem Rucksack duftet herrlich, selbst mein Magen, der sich ja so unnahbar gibt, zwinkert mit einem imaginären Auge gen Tasche. Ja, gleich.

Gleich 8Uhr, warum soll ich eigentlich um 7:30 hier sein? Zumal ich immer als Erste hier bin. Babygebrabbel verleiht dem Raum einen Hauch von Leben, dennoch erscheint es paradox.

8:12, ich sitze. Heute mal weit weg vom Radio, vielleicht nicht so bequem, aber weit weg vom Radio. Aber dafür ganz nah bei Gott.

8:36, alles liegt und läuft und gluckert, die Gehörgänge vor der Vergewaltigung meiner Muttersprache in Sicherheit gebracht. Mein Kopf glüht; Fieber?

Ich versuche mir einen Fixpunkt an der Decke zu suchen, den ich anstarren kann um im Weiß des Putzes zu versinken. Stattdessen fühle ich mich fett und kontrolliere ständig, ob mein Bauch bestmöglichst eingezogen ist. Leider ist dem nicht so und führt zu dem Zwang es immer wieder zu überprüfen. Haare; überall Haare und zum ersten Mal bin ich froh sagen zu können: Es sind NICHT meine! Der Magen drückt, ich starre die Spitzen meiner neuen Lederschuhe an und denke unweigerlich an den Bericht von gestern Abend über Tierquälerei in Maststationen (das Wort für sich ist schon Programm), der mich gestern schon zum Heulen brachte. Die Tränen kommen wieder ehe mein Blick über meine Schultern streift und an den sich vermehrenden roten Punkten auf diesen hängen bleibt. Ich werde kurz von einer gehenden Patientin angesprochen, ob ich denn Chemo bekäme, ich sähe so traurig aus. Traurig? Abgesehen davon dass ich total fertig bin; hat der kurze Streifzug über ein paar Seiten meines Tagebuches mein Züge so entgleisen lassen?

Erstes Viertel vollbracht, wann kommt die Blutbildbesprechung? Ich versinke wieder in mir selbst und harre laute Musik hörend aus. Langsam kauend zerlege ich nun endlich die Käsestange in ihre Moleküle, der Geschmack verschollen irgendwo zwischen Bäckerei und Ambulanz. 50 Minuten und grad mal ein Drittel intus. Endlich was Schönes zu trinken. Zu dritt hocken wir hier, das „3 Mäderl Haus“, jede für sich in sich schweigend. Alle Lieder einmal durchgehört; ich hab keine Lust mehr und liefere mich zur Eigenbelustigung den Musikvorstelllungen Radio Steiermarks aus. „Endlich wieder Rosenzeit, endlich wieder deine Zärtlichkeit..“, Roy Black und die 1-Mann-Keyboard-Band: „Komm wieder, komm wieder, komm wieder zu mir, nie wieder, nie wieder, nie wieder verlieren!“. „Feine Musik!“, sagt die Sprecherin…, achso.

11:18, jetzt erst ist die Hälfte erreicht und ich fühle, dass die Geschwindigkeit ganz schön auf die Grundsubstanz geht. „El chicco chicco locco..!“, jaja: „Sie können mich nicht leiden denn du gehst heut Nacht mit mir nach Haus…“. Sind diese spanischen Schmachtgitarren nicht schon längst OUT? Selbst die englische Sprache versagt auf diesem Sender, was für selten dumme Texte, mit soviel „Dummdidumm“ unterlegt, was für mich schon von selbst für sehr viel Dämlichkeit des „Gesamtkunstwerkes“ spricht. Ich frage mal nach der Blutbildbesprechung; dieses ahnungslose Rumgewarte vertrage ich heute nicht. Halbe Stunde noch, das Urbason rast, mein Herz schmerzt, mein Magen krümmt sich. „Herz an Herz, komm zu mir, Herz an Herz, ich kann nichts dafür..“, uhuuuuu, SCHAAAUUUER!!!! „Nur du und ich, vergiß das bitte nicht!!“, welch Reim, welch krönender Abschluss! Applaus an die Edelseer!!

 

12:03, Punktlandung und Schluss!

 

Abends.... Nach Entwässerungskuren mit Wirkstoffen direkt von der Wiese...

 


29. April 2005, Freitag 5:00

Irgendwann um 4 der erste kleine Zwerghahn…

Irgendwann nach 4:20 der erste Fasan, der sein Schlafästchen verlässt und sich laut flügelschlagend und krächzend dem Morgenstretching widmet.

Punkt 4:48 ein zeitgleiches Einsetzen von Vogelgezwitscher; Rotkehlchen und Mönchsgrasmücke.

Punkt 4:49 steh ich wieder auf den Beinen und widme mich der notwendigen Morgentoilette, erstaunt wie wenig ich wiege, obwohl ich es so früh gewagt habe mich mit der Geisel der Menschheit zu konfrontieren.

Im Wohnzimmer ist es noch dunkel, bis auf den freundlichen Mond, der links bei der Terrassentür hereinlacht und zu sagen scheint: Ah, auch schon wach?

6°C, die Mönchsgrasmücke nimmt an Volumen zu und ist auch mittlerweile bei verschlossenen Fenstern zu hören.

Das befürchtete Pickeldesaster ist  ausgeblieben, noch, ich sollte es nicht schon wieder verschreien. Meine Finger sind heute morgen sehr flink und ich habe keine Probleme zu tippen, kommt vermutlich noch.

5:08, das Vogelkonzert ist nun im vollen Gange, die ersten Plätze eingenommen, nun heißt es sich durchzukämpfen gegen die nicht zu unterschätzende Konkurrenz. Zwei Stunden noch bis zu meiner Abfahrt.

5:10, der erste Kuckuck.

Mein Gesicht ist heute noch einen Tick mehr geschwollen, aber immerhin entschied sich mein Körper nach einer kleinen Klopause um Mitternacht wieder anstandslos einzuschlafen. Die Atemwege noch etwas verschleimt, eine allergische Reaktion auf das Rasenmähen gestern? Oder der entwässernde Brennesseltee? Was stand da im Buch? Fördert die Produktion von männlichen Hormonen und kann so zu vermehrten Damenbartwuchs und Haarbüschelansammlungen an den Beinen führen, das klingt doch auch mal abwechslungsreich. Egal, wenn’s hilft!

5:15, ich glaube es wird Zeit für eine wunderschöne Tasse Vanille-Caro in heißer, wohltuender Vollmilch, damit mein kleiner kaprizierter Magen auch mal was Schönes bekommt, womit er leicht zufrieden zu stellen sein müsste.

Auf dem Weg zur Mikrowelle werfe ich mir gleich meine Tagesdosis an Tabletten ein. Nach unendlichen Runden in der Mikro ist die Milch endlich heiß und ich kann mich wieder hinsetzen, welch Wohltat!

5:22, es wird plötzlich hell und ich beginne den Tag mit einer Kalzium-D-Tablette, was meine Eingeweide gar nicht freut. So ne kleine Nichtigkeit und alles krümmt  und dreht sich, der Milchkaffee kommt ja gleich. Die heiße Milch breitet sich wie eine weiche Decke in meinem Magen aus und tut gut.

Bald dreiviertel 6 und der Mond beginnt soeben sein 2tes Drittel des Himmels zu erklimmen, ich mache noch ein Mondfoto, da ich in meinem Zustand immer das dringende Bedürfnis habe, alles festzuhalten und zu sortieren. Letzter Schluck Milch mit einer Pantoloc (obwohl ich bis jetzt noch keine Wirkung an diesen Tabletten entdecken konnte, von meinem Verdauungsapparat ganz zu schweigen!). Irgendwie habe ich seit gestern das Gefühl ÜBERHAUPT keine Lust mehr auf Krankenhaus zu haben, in mir sträubt sich alles was Rang und Namen hat… „Meine Güte, der EINE Tag noch..“, ja, aber ein Tag kann ein Tag zu viel sein und bei dem Gedanken, gleich wieder Stunden unter Todgeweihten zuzubringen, deren Aura ich mich nicht entziehen kann und die mir wieder einen tiefen Schnitt im Gemüt hinterlässt…, na ja, wo wär ich da lieber? Wenigstens stinkt es nicht so wie in Oberwart. Eigentlich ist die Onkologie ein geruchsneutraler Ort; wie wäre es sonst für all die Chemopatienten auszuhalten!

Eine Tablette liegt noch neben mir und meine Haarwurzeln beginnen beim Anblick dieser Kapsel vor Aufregung Samba zu tanzen; Kieselerde. Während ich mich nach etwas Trinkbarem zum Runterschlucken umsehe, frage ich mich, ob ich denn überhaupt schon eine Wirkung verzeichnen konnte… hm, vielleicht ist es ein Zeichen dass ich noch nicht aussehe wie ein pubertäres Mastferkel. Ah, aber da ist er wieder, der Grundfehler nummero 1: NIEMALS bestehende Situationen zu früh in der Optimismuslade verstauen!!!!

Meine Güte, der eine Tag noch, die 2 Stunden Infusion, die 7 Tage Entzug ohne Schlaf und Geschmack… wenn’s nicht immer das selbe wäre, immer und immer und immer und immer wiederkehrend, könnte ich ja sagen: Meine Güte, der eine Tag noch…

Aber ich weiß, auf den Tag werden irgendwann in nächster Zeit WIEDER und WIEDER und WIEDER und WIEDER 5 Tage folgen, mit allem drum und dran! Ich bin es leid! Und schon gestern bei dem Gedanken irgendwann mal noch eine Chemo zu bekommen, hatte ich das dringliche Bedürfnis mir einen Selbstmordplan auszuhecken. Gerade das ist ja das Elend! Es wird NIIIEEE ein Ende nehmen, NIE!

Das einzige dass mich jetzt noch zu erheitern vermag ist die Tatsache, vor der Auslieferung meiner Person ans Krankenhaus zum Bäcker zu gehen, da vor dem Glasschaukasten zu stehen, halb sabbernd und hin- und herüberlegend, was ich mir denn schönes mitnehmen könnte von all den frischen, knusprigen, duftenden Herrlichkeiten. JAAA!!! Ich hab Hunger!!! RIESEN HUNGER!!! Ich möchte mich wieder Sattfressen, aber ich kann nicht und vor allem erlaube ich es mir nicht. Wie lange noch?

Erstmal werde ich in den Garten gehen und wie versprochen eine Kanne frisch geernteten Pfefferminztee aufsetzen und dabei noch darüber nachdenken, ob ich es heute überhaupt wagen kann in diesem knappen Outfit zu verbleiben.

Müdigkeit legt sich auf mich und ich möchte mit dem Kopf auf die Tischplatte knallen und wegdösen…..

Der MP3-Player frisch mit neuer Musik ausgestattet um auch diesen EINEN Tag zu überleben, wenn geht BITTE Schlagerlos, der Pfeffitee duftet nach Kaugummi und es ist schon halb 7, allmählich Zeit für die Mundhygiene, da ich ja heute früher fahre, um den Bäcker zu plündern…, schade ums Geld. Ich bemerke, dass das Shirt der letzten Tage seltsam chemisch riecht, da wo ich stundenlang den Therapiestuhl durchgeschwitzt habe, ekelhaft. Oh, herrlich dieser Tee, so mild und wohltuend und perfekt um Haut und Haar und Bindegewebe endlich auf seine Kosten kommen zu lassen. Bäh, wenn ich dran denke heute noch ne Kalziumtablette essen zu müssen, bekomm ich das große Schütteln!

Was beschwer ich mich eigentlich dass die Pfefferminze dieses Jahr beschlossen hat, sein angestammtes Beet zu verlassen um auf Wanderschaft zu gehen in fremden Beeten oder auf der Wiese; man kann nicht genug Pfefferminze im Garten haben!!!!

So, nun wird’s aber wirklich ZEIT!

7:30

Hach, nun hock ich hier wieder als eine der Ersten, darf wieder über ne halbe Stunde warten; unsinnig. Die Exkursion in die Bäckerei fiel wieder flüchtig aus; ich fühle mich immer so gehetzt wenn die Verkäuferin wartend vor mir steht. Na, meine Wahl war glaub ich dennoch gut. Eine dunkle Käsestange und ein schönes, und vor allem großes Kipferl. Fantastomanisch; und erst der Duft der wieder meinem Rucksack entsteigt. Das Tolle an der Therapie ist, dass man zwangsläufig beginnt, Sachen pur zu essen und wieder schätzen zu lernen.

Wieder pünktlich der Kaffeeservice für die Damen vom Schreibtisch. Der Toilettenspiegel spricht eine andre Sprache als unser Exemplar im Bad: Pickelalarm!!!! Noch eine andre Frage: Waren meine Oberarme vorher schon so fett? Hab ich nicht nur einen geschwollenen Körper sondern auch den geschwollenen Blick? Alleingelassen mit Fragen dieser Art warte ich nun wieder auf dass die Zeit vergehen möge und konzentriere mich darauf mir entzündungshemmende Gedanken zu machen. Schöne, kühle, klare Gedanken. Die Brennesselkur geht heute in die Verlängerung, bis ich wieder „normal“ aussehe.

 

 

8:09, ich sitze.

Aber bitte nicht fragen wann es läuft.

 

9:22, ich weiß es noch nicht. Ich hoffe nur ich kann nachher endlich erzählen, was für einen krönenden Abschluss diese Stoßtherapie nimmt. Eigentlich tut mir nur die Ärztin leid und ich muss lachen, denn sie fragte mich vorhin bei der dritten Punktion, ob ich denn NUN Angst bekäme…

Angst? Ich? Soll ich denn welche haben, wollte ich fragen. Vielleicht ist das Portilein heute Nacht kaputt gegangen, oder meine krankenhausfeindliche Aura, oder meine Telekinese oder ich hab der jungen Ärztin einfach schon im Vorfeld jeglichen Wind aus den Segeln genommen.

 

Das Gespräch; wieder Fragen beantwortet. Blutbefunde spitze, kein Rheuma.

 

Und nun, kurz vor 10 Uhr eventuell die 4. Punktion. Gab es schon mal so etwas Ähnliches wie spontane Kathederzerstörung? Vielleicht ist heute auch einfach nicht mein Tag, nicht der Tag der Ärztin, nicht der der Station oder wahrscheinlich liegt es auch einfach an mir. Ein neues Set wird serviert.

Nun muss es klappen, sagt mir mein Gefühl, ich halte den ganzen Betrieb auf.

Wartend gehe ich zum 2ten Teil meines Frühstücks über; nachdem ich den Umfragebogen ausgefüllt habe, die Station bis auf den Radiosender wieder mal in den höchsten Tönen lobend. Ja, ich seh’s ja ein: Ich bin nun mal die Jüngste hier. Im Warteraum beginnt es sich zu stauen, ich bin sicherlich nicht ganz unbeteiligt an diesem Umstand.

 

10:17, ich könnte mich kaputtlachen!

Wer kommt um die Ecke geschossen? Mein „Spezialarzt“, er dreht sich kurz fragend im Raum um, ehe er mich sieht, die Augen japsend verdreht weil ihm sofort ein Licht aufgeht; schallendes Gelächter seitens der Schwestern und auch ich lache mich zu Tränen.

Ich sage nur: 100% Trefferquote! 100%!!!! Seit 2000, was soll da noch schief laufen? Nichts natürlich und ENDLICH kann es losgehen. Er hat seinen 1.Rang als Favoritarzt wieder mal blendend und souverän verteidigt! Ich könnte ihm die Füße küssen; wie oft er mich schon gerettet hat vermag ich nicht zu zählen. Hachja, ich werde ein Foto von ihm besorgen und zu Hause im Wohnzimmer neben der Glotze einen Schrein errichten, mit Räucherstäbchen und so.

 

Also, letzte Bestandsaufnahme am Tage 5:

2 Mal verstochen und daneben (bzw. sprudelte die Suppe wieder raus und aus meinem „sterilen Feld“ wurde kurzerhand ein „Schlachtfeld“!). 3. Versuch; das Kortison quält sich mehr schlecht als recht bzw. gar nicht in meinen Körper, über STUNDEN!

4. Versuch; ach, wieso Versuch! Es war schon klar dass es klappt als er auf die Frage der jungen Ärztin, wo er denn nun noch hinstechen würde, antwortete: „ Weiß ich noch nicht…“, stach und traf! Anstandslos läuft es nun; nicht mal der Automat wagt es angesichts  solcher Kompetenz nur einen Mucks von sich zu geben.

Alles ist an Tag 5 geschwollen; sogar, bzw. vor allem das Gewebe um den Katheder rum, jede beschissene Hautpore ragt entzündungsfreudig hervor, meine Bäckchen knallrot angelaufen. Ich ermahne mich im Geiste selbst, wenn ich wieder gedankenverloren meine Hand über meine Stirn streichen lasse. Werde ich es schaffen dieses mal meine Griffel von meinen Kortisonbeulen zu lassen?

Mit lauter Musik, wieder auf meinem Lederluxusstuhl liegend, mit Schlagerbeschallung von hinten, ins Kissen gekuschelt und einem halben Kipferl in der Hand. Vielleicht liegt es doch am Tag; es läuft mehr schief. Die Ärztin scheint nun endgültig von der Portfront abgezogen zu sein, ein neuer Notarzt ist eingetroffen. Ich muss schon wieder aufs Klo, wie lästig!

„Hübsche Boxershorts..“, denke ich mir als ich den Arzt beim Kathedersuchen beobachte. Was für ein TAG!!!!! Nun stehen sie da schon zu dritt und suchen den Port zum Port. Ein Aufatmen als er endlich trifft.

Und nun soll ich so lästig sein und eine Klopause einfordern? Hm, mal sehen wie lange meine Tröpfchenblase das noch mitmacht. Seit vorgestern drohe ich auszulaufen; abartig.

Kurze Klopause mit anschließendem Pickelcheck; uh, wie verführerisch.

Die Hälfte hab ich nun, 11 Uhr.

12 Uhr, das Drama hat ein ENDE!!!!

 

 


 

1. Mai 2005, Sonntagmorgen,

Die Bestandsaufnahme sollte weitergehen:

 

Der 1. Tag danach:

Die ersten Entzündungen beginnen sich im Gesicht bemerkbar zu machen, meine Atemwege leicht verschleimt, hab’ demnach geschnarcht und bekomme leichte Halsschmerzen. Vor allem die Partie um die Augen rum ist dick geschwollen, gelinde gesagt: ICH SEHE SCHEISSE AUS!!!!

Das Gewebe über dem Katheder ist dick geschwollen und schmerzt.

Wo ist er hin der flache Bauch der letzten zwei Wochen? Ich sehe aus wie eine Schwangere, liegt sicherlich auch an den Massen von Tee die ich konsumiere um dieser Vielfalt an Beschwerden irgendwie Herr zu werden!

Achja, Hängebauch: Wenn ich aufstehe laufe ich einfach aus, meine Blase nicht im Stande dicht zu halten,  sehr angenehm. Die Sehstörung nimmt ebenfalls massiv zu. Der Hals geschwollen und am Schmerzen.

Die Magenschmerzen so massiv dass ich nur noch brummend und schnaufend durch den Tag keuche, um irgendwie Linderung zu erheischen, bzw. um überhaupt noch Luft zu bekommen.

Witzig! Beide Knie schmerzen höllisch ohne ersichtlichen Grund, Morbus Scheuermann meldet sich ebenfalls.

 

2. Tag danach:

Gut, schlafen konnte ich, aber von den Halsschmerzen schweige ich lieber. Ich kann nicht mehr schlucken, das Gesicht noch dicker zugeschwollen, die Pickel fleißig im Entzündungsprozedere, die Haut scheint einen öligen Film abzusondern, schon wieder Haare waschen, der Rücken so massiv verspannt dass mir nun auch noch dieser den Atem raubt.

Ein Zustand des absoluten Ungleichgewichts, unerträglich. Ich halte es mit mir selbst nicht aus. Nicht ja und nicht nein aber auch nicht dazwischen.

Und die Blase läuft schon wieder, ich kann mir nun eine Ahnung davon machen wie es sein muss, wenn man soeben ein Kind geboren hat.

Eigentlich schmerzt der gesamte Körper; bitte NICHT berühren!

Der Magen tut bei jedem Bissen den ich runterschlucke weh, als würde ich Steine schlucken.

Und dieser scheiß Salbeitee lindert die Halsschmerzen nicht.

 


 

3. Mai 2005, Dienstagnachmittag

Tja, das Grauen nimmt seinen Lauf. Ich wage es kaum zu beschreiben wie ich mittlerweile aussehe. Drollig ist nur, dass ich dank 10 Minuten Badminton einen Popeyearm bekommen habe, der so höllisch weh tut, dass sich diese Schmerzen nicht in Worte fassen lassen und mich eine Nacht lang wach hielten. Das Schöne daran ist, dass mir vor Schmerz speiübel wird und ich heute nach Einnahme einer Schmerztablette erbrechen musste. Mein Kreislauf scheint zu kollabieren, ich liege auf der Couch, klatschnass, als würde ich auslaufen wie ein Butterziegel in der Sonne. Es scheint aber nichts an meinem fürchterlichen Aussehen zu ändern. Es fällt mir unwahrscheinlich schwer mir vorzustellen, dass ich vorher schlanker aussah. Ich trinke weiterhin meinen Brennnessel-Goldrutentee, die Lähmungsgefühle beim Gehen nehmen zu, ich musste SCHON wieder Haare waschen und versuche meiner Haut mit Kamillenwaschungen wenigstens etwas Linderung zu verschaffen. Die Halsschmerzen sind zum Glück weg, aber nicht aufgrund irgendwelcher teurer Medikamente (die waren fürn Arsch!), nur Eis und Salbeigurgeleien haben mich befreit. Und wie katastrophal mein Zustand auch sein mag, ich fühle um mich rum absolute Harmonie und Ruhe, obwohl immer wieder das Gefühl aufkommen möchte, dass all das nicht reell sein kann, bzw. jeden Moment wie eine Seifenblase zerplatzen könne.

Erstaunlich ist auch, dass ich schlafen kann und nicht wie sonst immer nachts aufwache und zu grausigen Zeiten aufstehe.

Ich kann mich auch nicht erinnern jemals SO geschwollen gewesen zu sein, also Michelinmännchen trifft nun WAHRLICH zu!

Das mit dem Arm bleibt mir dennoch ein Mysterium und ich freue mich hinsichtlich dessen schon wieder aufs Laufen :oP, ich HASSE es, ich hasse es schon wieder anfangen zu müssen. Ist das meine Bestimmung? Mein einzig wahrer Lebensinhalt? Na danke schön…!

Ich wünsche mir nichts sehnlicher als mal ne lange Zeit Ruhe zu haben von dem ganzen SCHEISS!!!!


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