1. März 2008,
Samstagabend
Das, was gestern ausblieb, erschlug mich heute mit voller
Wucht: Schwindel, massive Schwäche und ich irgendwie neben der Spur. Und dann
beim Lauf konnte ich schon nach kurzem mein linkes Bein wieder nicht richtig
heben, stolperte permanent über meine eigenen Füße und beendete das Drama nach
nicht sonderlich glorreichen 5 Kilometern. Nachmittags verschlechterte sich noch
dazu mein Sehvermögen. Erst flimmerte das Bild vor meinen Augen, dann reduzierte
sich das Blickfeld immens um dann in Doppelbildern auszulaufen. Toll. Das Wetter
war zur Unfähigkeit meines Körpers auch noch nicht unbedingt optimal für die
geplante Gartenarbeit. Ich brauche wohl kaum zu erwähnen, wie wertlos mich
dieser Tag erneut dastehen ließ und wie beschissen sich das anfühlte.
Und alles woran ich denken konnte war, dass Verbluten überhaupt nicht schlimm ist. Außer man überlebt es und darf die Defizite danach hautnah erleben…
2. März,
Sonntagabend
Aufwachen, aus dem Bett kriechen und schon versagt der
Körper auf voller Länge. In Selbstgerechtigkeit versinken. Wütend, zornig und
zugleich verzweifelt. Laufpause. Zwangsverordnet. Was tun? Gartenarbeit.
Ansätze, Dinge beginnen, Pläne erneut verwerfen, verzweifeln und vor Zorn
heulen. Sebastian hält sich gut und geht souverän und doch einfühlsam mit meinem
desolaten Grundzustand um. Wieder einigermaßen aus dem Stimmungstief gefischt,
wie besessen an meinem neuen Hochbeet arbeiten bis in den Abend hinein.
Resultat? Der linke Arm ist noch schwerer, das linke Bein lässt sich nur schwer
hochheben und wieder Doppelbilder. Doch ich habe etwas geleistet und so fühlt es
sich nicht mehr so sehr nach Aufgeben und Flucht in den Tod an. Und irgendwie
habe ich nur noch Angst, am Mittwoch nicht Autofahren zu können, wenn ich doch
zu meinem Kontrolltermin ins Krankenhaus muss. Und im Moment versuche ich den
Abend mit Fernsehen zu verkürzen und ich könnte schwören, diesen Scheiß schon
mal gesehen zu haben, aber allem Anschein nach ist das unmöglich. Kann mir
selbst nicht mehr vertrauen, weder der Fähigkeit meines Körpers noch meinem
verkümmerten Verstand. Ich werde wahnsinnig und niemand will eine Erklärung
dafür finden. Dankeschön. Oder um den Psychiater zu zitieren: „Dann müssen sie
wohl einen Vogel haben.“.
3. März, Montagmorgen
Emma ist weg und hat einige unsrer „Problembäume“, vornehmlich Birken,
entschärft und wir müssen nicht länger bei jedem Sturm bangen, dass sie auf die
Straße krachen. Nun ist es windstill und der Himmel grau. Mein linker Arm hängt
teilnahmslos auf meinem Schoß. Der Muskeltonus scheint reduziert und die
Verschlechterung schreitet im Millimeterbereich von Tag zu Tag voran. Ich bin
gespannt, was der Lauf um 11 dann noch ans Tageslicht bringt. Was ist das? Ein
Aufflackern der Herde, die eigentlich längst therapiert sind, aufgrund des
Stresses, dem ich mich ausgesetzt habe? Also eine kurzfristige Verschlechterung?
Oder rumoren die eben genannten Herde trotz Therapie unterschwellig weiter und
der Schub ist noch nicht beendet? Das ist ein Rundumschlag, ein Kahlschlag
möchte ich meinen, denn nichts wird ausgelassen. Augen, Arme, Beine, Empfindung.
Wo bleibt das Sahnehäubchen oben drauf, wo die Inkontinenz?
In meinem Traum sah ich wie Menschen überfahren wurden, hatte Angst vor einem Mörder und fragte mich wieso und dann wollte ich Klavierspielen, doch meine Hände versagten. Was für ein Chaos, was für grausige Bilder und dazu Versagensängste. Ich hatte gestern Abend die berechtigte Befürchtung, heute mit Drehschwindel aufzuwachen. Zum Glück blieb mir wenigstens das erspart. Ich würde mir gerne Sorgen um mich selbst machen, aber ich kann nicht. Wieder sehe ich nur den Tod. Die Wunde ist noch weiter aufgerissen als jemals zuvor. Weil auch permanent darin gewühlt wird. Lasse es zu. Weil ich endlich den Auslöser, den Dorn finden will? Will, dass es endlich aufhört?
Bei jedem noch so kleinen Handgriff abwägen, ob DAS nun
Grund genug ist, am Leben zu bleiben. „Merkst du eigentlich wie einsam du
bist?“. Die Wunde blutet stark, zu stark um es ertragen zu können und meine
Augen gehen über vor Tränen. Die Kehle wie zugeschnürt. Atemlos. Besser kann ein
Tag gar nicht beginnen. Dasitzen und flennen wie ein kleines Kind. Mein Leben
ist vergiftet. Hilft nur die Gewissheit, vor allen andren zu sterben? All die
kleinen, unscheinbaren Dinge, die zurückbleiben wenn man geht, sein Joghurt im
Kühlschrank oder die Schuhe vor der Tür. Kleine Dolchstiche, die mich
zusammenkrachen lassen. All die Dinge, die Zeuge eines geplanten Weiterlebens
sind, dann aber plötzlich in Wertlosigkeit versinken, weil es kein Weiterleben
mehr gibt. Warum tut es so weh? Geht es wirklich nur um mich, um meine Angst
verlassen zu werden? Abwägen, wie viele dieser Gegenstände ich anhäufen will,
nicht wissend, wann ich für mich den Schlussstrich setze. Abwägen bei jeder
Kleinigkeit die ich kaufe, ob das überhaupt noch Sinn macht.
Kaum denke ich an meinen Tod, versiegen die Tränen und ich beruhige mich wieder.
Funktionierendes System. Brauche meinen Selbsthass um all die schmerzenden
Details ausblenden zu können. Und es fühlt sich so an, als hätte ich es nicht
verdient zu leben, als sei es nicht fair, dass alle um mich rum sterben müssen,
wo sie ihr Leben doch lieben und ich eben nicht…
Abend
4. März,
Dienstagvormittag
Geht es mir nun besser, weil die Arme so gut wie verheilt sind? Ist dies
eine offizielle Stellungnahme? Als ich gestern Nachmittag durch den Garten
wuselte und versuchte einen Zaunpfahl aus dem Boden zu ziehen, gab dieser
plötzlich nach und die abgefranste Oberfläche rammte sich in mein Gesicht. Ich
wünschte mir nichts sehnlicher, als dass es blutet und Spuren hinterlässt. Aber
ich bin leider zäher als gedacht. Unverwüstlich. So ist es auch mit den Armen,
mein Körper überschlägt sich beinahe vor lauter Heilung. Nur nicht an den
richtigen Ecken, die spart er großzügig aus. Mein linker Arm ist wieder oder
immer noch schwer und obwohl ich gestern 7km laufen konnte, war der Abschluss
wahrlich nicht mehr schön. Als ich stoppte konnte ich das linke Bein nur noch
nachschleifen.
Ohne diese ganze Scheiße hätte ich Sebastian aber nie
kennen gelernt. Ein fieser Handel. Das, was mein Leben zerstört, ist nötig um
das zu erhalten, was mich am Leben hält. Absurd?
Nachmittag
Aus der Jennersdorfrunde wurde kurzerhand eine Bergsteigertour durchs
Henndorfer Hügelland. Als mir beim ersten steilen Anstieg zwei Nordicwalkerinnen
entgegen stöckelten, kam ich mir unglaublich toll vor, als ich locker flockig
und vor allem kraftvoll an ihnen bergauf vorbei rannte. Die Ohrfeige folgte bald.
Nach Kilometer 4 verlor ich irgendwo auf dem langen Anstieg die Muskelspannung
im linken Bein, doch 3 km lagen noch vor mir. Abenteuerlich. Spätestens am
Schluss, als ich all die erklommenen Meter an einem Stück steil bergab rennen
musste. Mein linker Fuß klatschte ohne einen Gefühlsreiz ins Gehirn zu senden
teilnahmslos auf und ich konnte bei jedem Schritt nicht sagen, was mein Fuß da
unten treibt, wenn ich nicht wie verbissen nach unten gestarrt hätte. Wahrlich,
abenteuerlich. Und dann zog Martha es vor, den Haufen von heute Morgen noch zu
toppen und kotzte noch dreimal in den Flur, verteilt auf mehreren Metern.
Hausputz und dabei Totalausfall meiner linken Körperhälfte.
Der Himmel ist immer noch grau, ich bin fix und fertig und frage mich, ob ich
die noch verbleibende Zeit nutzen sollte, um dem „Schein“ ein Ende zu bereiten.
Als ich endlich die Glotze abstelle und in mich hineinhorche, ist da nichts.
Keine Freude, keine Angst, keine Trauer. Erstickende Leere, verziert mit
diversen Schmerzreizen. Ist es nun als etwas Positives zu werten, da in diesem
Zustand der Aktionsgrad gering gehalten wird? Oder doch negativ, weil ich mich
nicht fühlen kann? Es wäre ein Leichtes, aus der Passivität auszubrechen…
Warten und ein pulsierender Schmerz in der linken Kniekehle. Wenn sich da mal
nicht schon die nächste Scheiße anbahnt. Bin zwar vorhanden, doch mehr nicht,
denn es fühlt sich so an, als sei ich es gar nicht.
Abend
Alles wird zuviel. Allein der Gedanke, im Sommer allein hier zu sein, wenn
Sebastian nach Deutschland fährt, lässt mich straucheln und zusammenkrachen.
Aufschlitzen. Das Klo voller Blut, doch es reicht nicht. „Harmlose Scheiße!“.
Die schöne Klinge bereits stumpf und somit vergeudet. Warum nur…? Neue Klinge?
Alle Ängste in mir abschlachten. Los! Tu es!
Bin einer neuen Klinge nicht würdig. Entferne mich mehr von meinem Ziel, als ihm näher zu kommen, die Schnitte werden immer oberflächlicher. Oder? Und nun hier zu hocken und zu zittern, ändert nichts an meinem Versagen. Zusammensinken und keuchen, wie nach einem Kampf. Doch die Schlacht ist noch nicht ausgefochten. Ein drittes Mal?
Schneide und schneide und drücke die Klingenkante fest auf die Haut. Doch es passiert nicht viel. Wieso? Darauf warten, dass sich der der fleckige Verband mit dem durchsickernden Blut tränkt. Langsam bis gar nicht. Du bist so JÄMMERLICH!!!! Ein drittes Mal versagen.
4 Mal. Ich lerne nichts daraus und wünschte nur, da wäre
mehr Zorn in mir um meine Hand zu führen…
5 Mal…
5. März,
Mittwochmorgen
Ich habe mich verloren. Es ist egal, bin es nicht wert und der Himmel gibt
mir mit einem gleichgültigen Grau recht. Der Körper versank in einem
Schockzustand. Er sollte sich nicht so anstellen, es ist doch längst keine
Ausnahme mehr dass er von sich selbst angegriffen und verletzt wird. „Na,
klingelt’s? Du scheiß Zellhaufen!“. Die Schnitte sind dunkel, blutunterlaufen
und leicht angeschwollen. Hat es sich doch gelohnt? Ja, klar. Um heute eine
preisverdächtige Vorlage zu liefern um wieder alle Probleme die meine MS macht
mit dem grottenschlechten Zustand meiner Psyche zu erklären. Vielleicht kehren
wir dann auch wieder zurück zu dem Ausgangspunkt, an dem „ich mir doch alles nur
einbilde“. Ach, ist doch scheiß egal. Wichtig erscheint nur, dass da noch Platz
übrig ist für weitere Ventile. Im „Selbstbestrafungsmodus“ sind die Blessuren
tiefer und bekommen mehr Gewicht. Beinahe wünsche ich mich dorthin zurück.
Teetrinken und mich in meinem für den Anlass gewählten Outfit unwohl fühlen.
„Leichenhallenmusik“ verbreitet sich im Raum. Still und sphärisch.
Mich fertig machen, Gesicht waschen, Zähneputzen und die letzten, blassen Spuren
der Schlacht am Waschbeckenrand entfernen. Blutabnahme; wieder ein heißes Armbad
nehmen und zusehen müssen wie die Wunden auswaschen und an Bedeutung verlieren?
Ertrage ich das, bzw. will ich es ertragen? Die Nebelkrähen ziehen ums Haus und
spielen im Wind. Geht es darum, etwas darzustellen, ein Bild, eine Meinung
aufrecht zu erhalten? Wäre dem so, würde ich dann überhaupt noch so trügerisch
funktionieren? Was bist du? Ich kann mich nicht fühlen…
11:10
Angekommen. Die Finger meiner rechten Hand sind blau angelaufen und fühlen sich
ziemlich taub an. Krache ich endlich zusammen?
11:40
Wieder Kortison? Vorher noch runter ins Erdgeschoss zur Thrombose-Sono der
linken Kniekehle. Ich solle mich aber mit ziemlicher Sicherheit schon mal auf
eine weitere Stoßtherapie einstellen. Ich würde nun gerne sagen: „Ich kann nicht
mehr!“, aber ich fühle einfach nichts! Warten und Zittern wie Espenlaub, das
Laufen kann ich für heute wohl knicken. Nimmt es denn kein Ende? „Eine protrahierende
Verschlechterung...“. Aber das geht nun unverändert seit November so. „Ich
glaube nicht dass das nun Dauerschäden sind. Aber wenn doch, muss man leider
sagen: Das bleibt nun so! Da kann man nichts machen.“. Oh, Tacheles wurde mit
mir noch nie gesprochen. Und obwohl mir das bewusst war, fühlte ich in mir etwas
zu Bruch gehen. Dennoch wird wieder viel Vertrauen in eine weitere Stoßtherapie
gelegt. Aber nicht von mir. Ich kann im Moment weder fühlen noch denken. Wie
gelähmt. Starr und doch zitternd. Wünsche mich zurück an den stillen Moment des
Ausblutens. Nichts außer dem Blut, das den Arm hinab strömt, Wundschmerz und
ein Gefühl von Betäubung…
13:30
Keine Thrombose, zumindest nicht in den großen Venen. Kurze letzte Besprechung
ob ja oder nein. „Mir ist alles egal…“; zu tiefgründigeren Bemerkungen und
Überlegungen bin ich nicht mehr in der Lage. Wir einigen uns drauf, einen
letzten Versuch zu starten um dem Schub endlich das Licht auszuknipsen. Und wenn
es nichts bewirkt, so haben wir wenigstens nichts unversucht gelassen und die
Zeit wird alles Weitere zeigen. Heiß baden und dann ein junger Arzt, der sein
Glück versucht. Der linke Arm. „Hui, was ist denn da passiert…“, und er dreht
und wendet den Unterarm, das vernarbte Streifenmuster auf der Haut betrachtend.
„Ist doch schön, oder? Also mir gefällt das…“. Er fragt nochmals und ich gebe
kleinlaut zu Protokoll, dass es sich hierbei um ein Selbstverletzendes Verhalten
handeln würde und dass das noch harmlos sei. „Und der andre Arm?“. Neugierige
und auffordernde Blicke. „Da geht erst
die Post ab…“, und ich gebe für einen kleinen Moment die mit dunkellila Kerben
übersäte Haut preis. Ein 1A Stich, kein Aufmucken bei der Blutabnahme und
Infusion und Durchspülen funktionieren einwandfrei. Und dann Warten, warten,
warten…
Abend
Nach 95 Minuten war die Infusion beendet, es war bereits 15:15 Uhr, die
Ambulanz leer und verlassen, nur noch ich und mein Infusionsständer. Die
Nachhausefahrt war die Hölle. Ich sah alles doppelt und eigentlich würde ich
mich so NIEMALS hinters Steuer setzen. Aber was blieb mir schon übrig? Als ich
dann am Schluss noch die Polizei eine gefühlte Ewigkeit im Schlepptau hatte,
ging mein Arsch vollends auf Grundeis. Ich konnte nicht einschätzen, ob ich nun
Schlangenlinien fahre oder nicht. Warum mich beschweren? Der scheiß Tag ist
vorüber. Morgen fahr ich dann doch lieber wieder mit der Rettung. Was bleibt
noch zu sagen? Nicht viel, denn ich fühle mich immer noch nicht und frage mich
nur ob erneutes Aufschlitzen etwas daran ändern kann. Dumpfe Stille füllt mich
aus und die Aussetzer meiner MS sind durchs Kortison nur noch verstärkt.
Noch bleibt Zeit…
6. März,
Donnerstag 4:30
Eingeschlafen irgendwann um Mitternacht rum. Die Musik, die
ich erst hörte, war alles andere als förderlich. Es kam kein Schlaf, nur die
Sehnsucht nach Laufen, dann Schreien, Durchdrehen, Abstürzen, Aufschlitzen. Und
zu letzt erschien mir die Option eine Überdosis Tabletten zu schlucken mehr als
plausibel. Zusammensacken im Flur, vielleicht mit einem kleinen Zettel in der
Hand auf dem steht: „Es tut mir leid…“. Wahrlich heizte mich die Musik mehr an
als mich Richtung Schlummerland zu befördern. Und dann um 3 Uhr aufgewacht um
nach 3:30 endlich aufzugeben und aus dem Bett zu kriechen. Da ist immer noch
keine Hoffnung, die ich in die Therapie setzen könnte. Eigentlich ist da wieder
nichts, außer vielleicht die Angst vor den Nebenwirkungen, den ERNEUTEN
Nebenwirkungen. Entschuldigte mich bereits gestern dafür, dass ich nun wieder in
einen unerträglich launischen Gemütszustand rutschen werde, ohne es beeinflussen
zu können. Schon wieder, zum dritten Mal in Folge. Und ich denke, ich sollte mir
wirklich die Zunge raus schneiden, um endlich meine beschissene Klappe zu
halten.
Noch 2 ½ Stunden bis es losgeht. Warten auf die Sprachlosigkeit, die Langeweile
und den Moment, wenn ich dem Bild, das ich von mir selbst habe, gerecht werden
muss. Die Klinge liegt bereits neben mir auf der Bank. „Was, wenn der Zugang
heute seinen Dienst quittiert? Willst du das einem armen Turnusarzt antun? Und
dann? Dich wieder dafür entschuldigen, dass er den zerschnittenen Arm anfassen
muss? Wie schäbig.“. Und doch irgendwie egal. Das Kortison hat mich wieder fest
in seinen Fängen und als ich im Bett zügellos plapperte und plapperte, merkte
ich wie überflüssig all das ist und vor allem wie lästig und überflüssig ich
bin. Mit diesem „guten“ Gefühl im Gepäck sollte es ein Leichtes sein, eine
Entscheidung zu treffen.
5:15
Ist sie nun da, die Sinnlosigkeit? Mein Schädel dröhnt und ich beginne
ohne es zu registrieren Quadrate mit dem Finger auf die andre Hand zu zeichnen.
Willst du dir weh tun? Alles vorbereiten, noch eine Stunde bis
Sebastian aufsteht. Die Kopfschmerzen nehmen an Intensität zu und ich fühle
außer diesem Schmerzreiz immer noch nichts. Beinahe zärtlich über den entblößten
Arm streichen. „Welche Stelle wird es sein?“. Nach zusammenhängenden Hautstellen
suchen während der Arm zu zittern beginnt. „Wie die Büchse der Pandora…“; ich
öffne die kleine Dose und da liegen meine Heiligtümer und der Geruch einer neuen
Klinge betört meine Sinne.
Während mein Blut auf das rossrote Handtuch tropft, denke ich nur noch, dass dieses Handtuch schon von meiner Oma benutzt wurde, bin plötzlich wieder an ihrem Sterbebett: Die Wangen ganz bleich, die schwarzen Haare zersaust, der Mund weit offen und die weißen Bettlaken zerwühlt. Ich denke, dass dieses Stück Frottee irgendwann irgendwem etwas bedeutet hat und mit jedem Tropfen Blut fühle ich mich schlechter, und doch zugleich gut. Jeder Tropfen eine Bestrafung. Reicht das nun aus? Nein. Sebastian wird bald aufstehen, hatte ich doch vorgestern bereits Angst dass er mich ertappt und mir nur noch zu sagen bleibt: „Geh weg. Bitte…“. Das erste und auch letzte Mal war im Sommer 2001, als ich tief bis ins Fleisch geschnitten hatte und die stark klaffende Wunde nicht mehr aufhörte zu bluten, ich wie in einem Schockzustand in meiner Blutlache saß, erstarrt und unfähig zu handeln. Er muss das nicht sehen.
Der Tag bricht an, doch das Gefühl in mir ist
nicht besser oder erwähnenswert spürbar. Was willst du? „Seht her, es geht mir scheiße,
aber ich weiß, dass ich schlecht bin und nehme Euch die Schmutzarbeit ab.“.
Aufmerksamkeit? Nicht länger in Wertlosigkeit ertrinken? Mich finden oder
zumindest spüren? Immer dieselben Fragen, scheinbar kein Vorankommen,
festgefressen an Ort und Stelle. Unfähig. Unfähig für alles! Außer aus Scheiße
noch mehr Scheiße resultieren zu lassen. Einer der kleineren Schnitte hat wieder
geblutet und das Blut hat sich unter dem engen, schwarzen Ärmel verschmiert. Ich
könnte es wegwischen, aber ich will nicht. Auf Konfrontationskursus?
Außenstehende auflaufen lassen, überfordern und zusehen, wie sie mit der
Situation nicht umzugehen wissen und mir letztendlich das Gefühl geben, wie tief
ich doch im Wert gesunken bin. Bestätigung und Bestrafung suchen. Auf Kosten andrer?
Ist das fair?
10:45
Zu Beginn der Sitzung noch dämlich grinsen, um dann Wort
für Wort in mich zusammenzusacken. DAS bin ich! Dann auf die Rettung warten,
doch sie kommt nicht. Erst zur Firma um von dort aus in der Rettungszentrale
nachzufragen, ob man mich vergessen hat. Mit 20 Minuten Verspätung werde ich
endlich abgeholt und eigentlich wollte ich mich unter meinen Kopfhörern
verkriechen, doch der mitfahrende Zivildiener signalisierte gleich zu Beginn
eine hohe Gesprächsbereitschaft und so konnte ich meine Plapperfreudigkeit
ausleben. Nun runterkommen, zurück zum Ursprung, zum Ausgangspunkt. Der
Widerspruch zu dem, was noch vor ein paar Stunden wichtig war, ist zu groß und
mein Verhalten erscheint auch absurd in Anbetracht dessen, dass noch vor ein
paar Stunden Blut geflossen ist. Und da ist sie nun, die Sprachlosigkeit und ich
kann die Wunden unter dem langen Ärmel brennend erahnen. Besser ich bin still,
bevor ich erneut zu viel sage.
Meine Therapeutin meinte zu der ersten Skizze: „Wie eine
trotzige Geisel die auszudrücken scheint: Macht was ihr wollt, ihr könnt mir
nichts anhaben. Als würde sie ihre Peiniger auslachen. Ich glaube, sie würden
sie auslachen.“. Interessante Theorie. Passend zu dem Wunsch, dass mir jemand
eine Waffe an die Schläfe drückt und mich vor die Wahl stellt. „Mach doch was du
willst!“.
Spätnachmittag
Bin nun stolze Besitzerin eines Injectors für die
Copaxonespritzen. Würde mich gerne freuen, aber auch das ist mir egal und
verschwindet im Register „Gleichgültigkeit“. Mein Bruder kam mit der Rettung und
holte mich ab, eine freudige Überraschung, bekomme ich ihn so unter normalen
Umständen eigentlich nie zu Gesicht. Doch kaum wieder zu Hause versinke ich in
Einsamkeit, Stille und Schweigen. Alles was mir noch so etwas wie Freude
bereitet, ist der Anblick meines Armes. Mein
Gesicht ist leichenblass, nur meine Lippen zeichnen sich markant bläulich vom
Rest meiner Visage ab. Sieht krank aus. Gut so. Man soll mir ruhig auch mal
ansehen wie beschissen ich mich fühle.
Abend
Der erste Injektorversuch ging nach hinten los, die Spritze
entlud sich im Gerät, aber nicht unter meiner Haut. Ab in den Müll. Beim zweiten
Versuch ging fast alles glatt, bis auf die Tatsache, dass ich vergessen hatte
den Injektionsabstand einzustellen und das Ding mit voller Wucht in meinem
Unterarm entlud, zu allem Überfluss wohl noch ein Blutgefäß erwischte und sich
binnen Sekunden ein fettes Hämatom bildete. Der Schmerz, der sich wie ein
Hornissenstich anfühlt und den gesamten Arm lähmt und mir die Kehle zuschnürt,
hält sich auch noch nach einer Viertelstunde beinahe unverändert. Ob das nun DIE
Erfindung schlecht hin ist, wage ich zu bezweifeln. Oder ich bin als alter
manueller Subkutanprofi einfach zu dämlich für dieses neumoderne Zeug.
Ich tingle zwischen Späßchen machen und finsterer Miene inklusive Schweigen. Die Zweisamkeit endet nun, jeder zieht sich in sein Domizil zurück und donnert die Musik auf volle Lautstärke auf. Das Schweigen kann nun gelebt werden und ich mich mit dem erneuten Auftauchen des Bedürfnisses, mich noch weiter zu zerschneiden, auseinandersetzen. In der Sitzung ging es heute eigentlich nur um meine Selbstverletzung, um meine Ängste, um das Gefühl schäbig zu sein, wenn ich so zum Blutabnehmen antanze. Nachdem ich die Situation mit dem Arzt gestern eingängig beschrieben hatte, fragte sie: „Darf ich ihre Arme mal sehen?“. Ich mache keinen Hehl daraus, kein Geheimnis und so schob ich den rechten Ärmel hoch und präsentierte die schwarz unterlaufenen Kerben. Selbst die neuen Wunden vom Morgen waren bereits lila unterlaufen. Der klitzekleine Hauch von Entsetzen in den Augen, selbst wenn ich es mir auch nur einbilden mag, gab mir schon so etwas wie Befriedigung. Sie beugte sich nach vorn um einen inspizierenden Blick auf das Desaster zu werfen und sank nach eingängigem Mustern mit einem ernsten Blick und einem leisen „Das sieht schon ordentlich aus…“ zurück in ihren 70er Jahre Stuhl. Es war ständig die Rede von einer Vertrauensbasis und wie wichtig diese sei. Ich kann mir diese mit ihr gut vorstellen, sie nimmt mich als Ganzes ernst und auch meine Verletzungen als Teil von mir wahr und behandelt das Thema mit dem nötigen Respekt, der mir sehr oft nicht zuteil wird. Und dann sprach ich das Thema „Ohne MS hätte ich Sebastian nicht kennen gelernt“ an und wie alles verlaufen wäre, wäre ich nicht krank geworden. Ich sprach von vielen Freiheiten in meiner Kindheit. „Aber bei all den Störungen, die sie damals schon entwickelten… War die Kindheit wirklich so unbeschwert?“. Es brachte mich zum Grübeln. Von Selbstwertgefühl war die Rede. Erst äußerte ich die Meinung, es damals besessen zu haben um nach kurzem Nachdenken sank ich in mich zusammen um mir klar darüber zu werden, dass ich bereits damals eine funktionierende Puppe war. Verlogen, zum Wohle aller, nur nicht zu meinem…
Die Diplopie hat drastisch zugenommen, was wahrlich nicht witzig ist. Und nun hat sie mich wieder, die Sprachlosigkeit, angefeuert von der übermannenden Müdigkeit und Schwäche. Warten bis morgen? Noch ist Zeit. Es tat gut, über meine Verletzung im Detail zu sprechen, da ich das für gewöhnlich nicht tue und mich auch sonst keiner danach fragt. Entweder weil es egal ist oder man damit nicht umgehen kann. Dabei ist es so wichtig, denn die Verletzungen sind essentiell für mich. Aber reicht dieses eine Gespräch? Reicht es aus um mich nun zu stoppen? „Was ist davor, was passiert in Ihnen bevor sie es tun? Gäbe es eine andere Option?“. Nein. Denn ich sehe keinen Sinn darin, es zu unterlassen. Teils, weil ich es nicht wert bin, doch auch um mir selbst einen Gefallen zu tun. Die Betäubung ist unbeschreiblich, berauschend und stellt alles in mir ab, was viel zu tief geht. Dieses mich komplett ausfüllende Nichts tut weh, denn das was darunter verborgen liegt, schmerzt. Ich kann den Schmerz erahnen. Ich zeichne und schreibe Dinge, die ich selbst nicht entschlüsseln kann. Spreche mit fremden Zungen und bleibe für mich selbst ein Rätsel.
7. März, Freitag
5:20
Aus dem Bett fallen, kurz vor 5. Wäre es nach meiner Blase
gegangen, wäre ich schon seit 2 Uhr hier. Ich kann im Moment nicht mehr
unterscheiden zwischen Beschwerden, die vorher bereits präsent waren und denen,
die durch das Kortison verstärkt werden. Immer noch NICHTS in mir, keine Freude,
keine Hoffnung, keine Ängste. Es ist nicht sonderlich schön, wenn alles, aber
auch wirklich alles scheiß egal ist. Denn alles erscheint so unendlich fern,
nicht Mal den Gedanken des erreichen Wollens wert. Kein Bild, kein Laufen, kein
Wunsch nach Besserung, keine Liebe… Ertrage nicht mehr als meine Musik. Der Tee
schmeckt nicht mehr, wie immer. Also warum den ganzen Scheiß nochmals erwähnen?
Überflüssig, so wie ich selbst. Ich vermag nur in Kurzstrecken zu denken, bis
zum Sitzen beim Hausarzt reicht es gerade noch. Aber auch nicht mehr. Vielleicht
ein wenig Sorge, dass mein Bruder vielleicht vergessen hat die Abholbedingungen
zu ändern und der Rettungswagen um 9 hier vorm Haus steht und nicht in
Jennersdorf beim Arzt. Und selbst wenn, es erscheint egal.
5:30
Teatime. Den Bläschen auf der Oberfläche beim Zerplatzen
zusehen. Heute präsentiere ich mich mal ganz in Schwarz, das ist doch treffend,
oder? Ich ertrage mein eigenes Gelaber nicht mehr, an Tag Drei sollte dieses
auch enden, sagt mir meine langjährige Erfahrung. Zu behaupten, dass das schön
wäre, wäre auch schon wieder zu hoch gegriffen. Angenehmer? Ich müsste nicht
ständig darüber nachdenken, ob ich zuviel gesagt habe, das Falsche zur falschen
Zeit und nicht daran, mir den Mund ständig zu verbieten, wenn ich ohnehin die
Klappe halte. Endlich dem Nichts gerecht werden. Das erscheint viel einfacher
als irgendwelche Emotionen abzuspielen wie am leiernden Band. Schon so mies in
der Qualität, und dennoch merkt es keiner. Die Menschen wollen belogen werden.
Meine Wangen glühen, vermutlich wieder rote Bäckchen in ganz viel Weiß. Noch ist
Zeit weitere Verletzungen in Erwägung zu ziehen. Aber selbst das scheint egal.
Noch.
6:00
Die Uhrzeit anstarren und einen inneren Konflikt
ausfechten. Eine Kribbelparästhesie in beiden Beinen macht die entstehende
Unruhe noch unruhiger. Dann zieht sich das Kribbeln hoch bis in den Kopf und mir
stellen sich die Nackenhaare unweigerlich auf. Der Körper signalisiert „Kalt“
obwohl meine Wangen immer mehr glühen und mir warm ist. Na, hast du Schiss oder
was? Jetzt erst recht! Den Konflikt mit dem ersten Schnitt ad acta legen, zu
all den andren verstaubten Zweifeln und während mein Leben in Portionen aus
meinen Adern läuft, bemerke ich nicht mal dass der Tag angebrochen ist. Der Tee
in der Tasse ist mittlerweile kalt, der Tee in der Kanne rotbraun. Die Augen
schließen und mich fragen, welchen Zweck das nun erfüllt. Tiefes Atmen und alles
erscheint noch egaler. „Nimm mich weg! Bitte…“. Mich abstellen wie eine nicht
länger benötigte Maschine.
10:15
Gespräche führen, dabei nicht wissend, ob ich überhaupt
sprechen will. Man scheint es drauf anzulegen, mich aufzumuntern. Natürlich ist
es schön ein paar Worte zu wechseln mit einer positiven Grundstimmung dabei.
Kurzes Rumschäkern mit Schwester Hedi und Schwester Elisabeth. Doch warum fühle
ich mich in der Stille, in der Isolation mehr zu Hause als in
zwischenmenschlichen Beziehungen? Und da wären noch die Wunden, die aufgerissen
sind und unter dem schwarzen Ärmel zu bluten beginnen. Der Ärmel ist zu weit und
gibt zuviel preis, doch nun hab ich ja den Strumpf, der den Venflon über die
Nacht schützen sollte, und kann behelfsmäßig retuschieren. Hier hocken, mit dem
Rücken zur Ambulanz, vor mir nur Wand und Fenster um durch dieses auch wieder
nur Wand zu sehen. Weg vom Leben, weg von der Aufmerksamkeit. Meine Wangen
glühen und ich bereue es nur noch die Weste vorm Anschließen nicht ausgezogen zu
haben. Wieder zu viel geplappert.
12:00
Kurz vor Mittag endlich fertig. Mir nicht sicher was oder
wer, geschweige denn wie ich nun bin, eine Skizze auf dem weißen Papier
entstehen lassen um mich kennen zu lernen. Ist es das? Bin das ich? Immer noch
mit dem Rücken zur Welt, mich weiter in mich selbst verkriechen. Und warten. Was
der Tag wohl noch bringen mag?
Abend
Die gefaxten Befunde beim Hausarzt holen. Voller Stolz feststellen, dass
die Anämie unverändert geblieben ist. Leistung! Habe Spuren hinterlassen.
Wehmütig, rührselig, gereizt und permanent am Tränen Schlucken. Und dann soll
ich ernsthaft darüber nachdenken wie es sein wird, wenn Sebastian im Juni nach
Deutschland fährt? Was wollt ihr eigentlich von mir? Und ich bringe auch ganz
klar und ehrlich zum Ausdruck, dass es mir unter den gegebenen Umständen
unmöglich ist dazu auch nur einen einzigen produktiven Gedanken zu fassen, dass
es mir leid tut und ich ganz genau weiß, dass ich eine egozentrische Schlampe
bin. Und das, was ich nicht ausspreche, was aber noch massiver durch meinen
ganzen Körper hallt, ist: Aufschlitzen! Aufschlitzen! AUFSCHLITZEN!!! Fühle mich schäbig, dreckig, schuldig. In
mir selbst gefangen und mein Kopf ist leer. Morgen Laufen? Auf Gedeih und
Verderb!
8. März, Samstagnachmittag -80mg
Wieder: Ab in die Hölle. Im Moment geht es nicht darum mich
einfach „nur“ abzustellen. Es geht nicht darum 60 oder 90mg zu schlucken. Die
10fache Dosis? Die halbe Packung? Ich KANN nicht mehr!!!! Den gesamten Tag damit
zubringen zu zittern und wie bekloppt hin- und herzuwippen. Ertrage den
Gedanken nicht, den gesamten Tag vor der Glotze zu verbringen. Aber WAS noch
tun? Bin verletzend. Ertrage mich selbst nicht. Wieder ein eingehender Anruf.
Noch mehr zittern. WOHIN MIT MIR??????
Und da ist er wieder, dieser dämliche „Lebst du
noch?“-Spruch auf dem AB. Haben die Leute das im Urin, oder warum kommt diese
Scheiße immer im richtigen Moment? Warum nicht einfach mal Unsinn machen?
Aufschlitzen erscheint im Moment nicht als drastisch genug. Mich abstellen, wenn
man mich schon nicht in Ruhe lassen kann? Mich aus dem Weg räumen, endlich aus
der Reichweite aller stehlen? Sebastian den Rückruf überlassen. Ich will nicht
und ich KANN nicht. Letztendlich wäre ich wohl wieder nur explodiert. Warum
Einblicke in dieses Chaos gewähren? Habe die Schnauze voll von diesem
Pseudoverständnis! LASST MICH IN RUHE!!! Fühle mich so unendlich dreckig. Ein
heißes Bad einlaufen lassen und mich von oben bis unten aufschlitzen.
Selbstzufrieden in meiner Blutsuppe hocken, endlich allein mit mir und meinem
Selbsthass. Chaos in mir, gedankliches und niedergeschriebenes Chaos. Suche den
Sinn, die Erklärungen, und finde Nichts. Wo bin ich? Mit dem Kopf gegen die Wand
schlagen bis es weh tut. Dem Kortison die Schuld in die Schuhe zu schieben, wäre
nicht fair. Scheiß Teufelskreis. Kann nicht mit, aber auch nicht ohne das
Mistzeug. „Veränderung der Blutgerinnung“ durch die Entwässerungstabletten?
Warum nicht ausprobieren, die Blutwerte noch weiter in den Keller jagen? 14? Was
ist schon 14? Innerlich explodieren, mich auskotzen, ohne dabei zu verletzen.
Wann endet dieser Tag? Wann dieser Zustand? Soviel Erfahrung und doch NULL
Ahnung, geschweige denn so etwas wie Routine. Von 1000mg runter auf 80 ist wie
von 1000 runter auf 0. es spielt keine Rolle. Genau so gut könnte ich mit 130
ungebremst gegen eine Wand fahren, das Ergebnis bliebe identisch. Ruhe, ich brauche
Ruhe!! Aber woher bekomme ich sie, wenn ich mich nicht selbst abstelle?
18:00
Abendessen vorbereiten. Etwas Essen, im Kreis rennen, unruhig, getrieben.
Du fettes Schwein!!
Zittern, mit mir hadern und in Selbstbeschimpfungen ertrinken. Der
Körper aufgeheizt vom heißen Vollbad. Jetzt aufschlitzen gäbe ein
Mordsspektakel. TU ES ENDLICH! Der Tag braucht eine Wendung…
9. März, Sonntagmittag -80mg
(Tagesration - Warum überhaupt noch essen?)
Darauf warten, dass ich es nicht mehr aushalte und endlich
loslaufe. Wie weit soll ich kommen? Mit starken Entwässerungstabletten und
literweise Flüssigkeit intus. Die Straße hoch und runter? Wünschte mir nur noch,
das einzig flache Stück wäre nachbarlos. Habe keine Lust beim Rotieren auf den
200 Metern schief angeglotzt, geschweige denn angesprochen zu werden. Aber wie
weit kann man sich mit diesen Grundvoraussetzungen vom heimischen Lokus
entfernen? Einbildung oder auch nicht, doch ich habe das Gefühl, diesmal nicht
so aufgedunsen zu sein. Die Unruhe wird heute noch mit Herzrasen versüßt und die
Sehkraft hat noch stärker nachgelassen. Nach dem Regentag scheint heute die
Sonne und die Vögel füllen den Graben mit ihrem Gesang. Zuviel Leben, ertrage es
kaum.
Sinnloses, überflüssiges Geschwafel. Letztendlich wieder
nur die Wiederholung von der Wiederholung.
Abend
Schlimmer geht’s immer. Ertrage nicht, dass ich etwas
gegessen habe. Da ist sie wieder, diese beschissene Angst vom Kortison noch
fetter zu werden. Kotzend über dem Klo hängen. Und nun wieder zittern. Das
Standardprogramm abspielen. Du FETTE SAU!!!! Entstand beim Lauf letztendlich
auch nur eine einzige Emotion: Jähzorn!
10. März, Montagvormittag -60mg
Die Welt, wie ich sie zu kennen meine, bricht auseinander.
Angespanntes Warten. Darauf, dass eine Katastrophe losgetreten wird und die
Illusion von einer heilen Welt wie eine Seifenblase zerplatzt. Starke Schwäche
und doch Unruhe. Im Haus herumwuseln, auf dem besten Wege in die nächste Putz-
und Räumorgie zu verfallen. Ertrage den Gedanken, dass auf dem Dachboden Chaos
herrscht, nicht, ertrage meinen Körpergeruch nicht und auch nicht unsre lieben
Wochenendnachbarn, die wie immer nichts andres tun können als Lärm zu machen.
Heute ist es wieder die Kettensäge, und morgen dann die Motocross? Idioten.
Mittagessen vorbereiten. Und dann? Mich schlecht fühlen, weil ich mich abgrenze. Dasselbe Prozedere, dieselben Schuldgefühle, wie nach jeder Kortisontherapie. So vorhersehbar. Und dennoch keine Pläne, geschweige denn Ansätze, um aus dem System auszubrechen. Während sich die Kettensäge in meinen Schädel frisst, frage ich mich erneut ob zu sterben nicht besser sei. Und im selben Atemzug kommt die Angst vor all den angehäuften Dingen, die zurückbleiben. Die Spuren des Lebens, die den Zurückbleibenden sozusagen aufgebürdet werden. Alles vernichten? Nichts zurücklassen? Alle Spuren verwischen und soweit in den Hintergrund kriechen, um auch in der Erinnerung zu verblassen. Ist es nicht seltsam? Habe Angst, dass jemand stirbt und mich mit eben diesen Spuren zurücklässt. Versinken lässt in schmerzenden Erinnerungen. So sehr, dass ich es andren nicht antun will und aufhöre, Lebensspuren zu hinterlassen. Ohne Spuren, ohne tatsächlichen Beweis einer Existenz, ist es leichter zu vergessen. Werde ich mich irgendwann dafür hassen, die Zeit des Lebens nur für Gedanken an den Tod verschwendet zu haben?
Noch eine Stunde und die Zeit beginnt mich aufzufressen. Im
Nichts hocken, wieder keine Gefühle, außer Stande mich selbst wahrzunehmen.
Vorhandensein, mehr nicht. Am Tisch hängen, nach draußen starren. Sonnenschein,
Vogelgezwitscher und Nichts. Insgeheim Pläne schmieden, was ich in meiner
Verfassung doch noch um- und aufräumen könnte. Scheinbar Ordnung ins Chaos
bringen. Heuchelei. Selbst die letzten Schnitte auf meinem linken Arm sind
akkurat angeordnet und wirken mehr als ordentlich.
Abend
Meine Mutter stand vor der Tür und die erste Aussage ging
einher mit einem leichten Zusammensacken: „Alles voll mit Betäubungsmittel und
Kortison. Das haut mich total zusammen…“. Ist es der Versuch, eine Brücke zu
schlagen? Ganz nach dem Motto: „Ich weiß, wie das ist!“ Und dann: „Ich dachte
schon, die melden sich gar nicht mehr und dann hab ich zum Papa gesagt,
spätestens wenn was mit dem Auto ist, rufen sie an!“. Für wie selbstgefällig
halten sie mich? Ging es mir nie schlecht? Geht es mir nicht beschissen? Brauche
ich eine Ausrede? Worum ging es erneut? „Sieh her, ich verdiene Mitleid!“. Der
Versuch auch nur einen winzigen Einblick in mein Desaster zu geben, wurde
ziemlich rasch durch erneute Vergleiche mehr oder minder ins Lächerliche
gezogen. Klar, sie meint das alles nicht so. Klar, sie ist vermutlich insgeheim
gekränkt, allein schon wegen der Tatsache, dass nicht mal mein Bruder ihr
verraten hatte, dass ich wieder im Krankenhaus war. Verletzt, weil ich ihr
sozusagen die Tür vor der Nase zuschlage. Schmerzkonkurrenz nenne ich das, und
das geht wahrlich nicht von mir aus. Dieses krankhafte hinterher eifern,
übertrumpfen müssen in Schmerzen und Krankheiten um Anerkennung zu finden. Und
dann fühle ich mich schlecht, weil ich mich einfach nicht mehr länger in der
Lage sehe sie ernst zu nehmen? Es tut mir leid, es tut weh. Ich
würde sie gerne in allem was sie bewegt und mitnimmt ernst nehmen. Doch all die
maßlosen Übertreibungen, Ausschmückungen und all die Vergleiche geben mir
letztendlich wieder nur das Gefühl, wie wenig meine Problematik ernst zu nehmen
ist. Oder welcher Eindruck entsteht wenn Rückenschmerzen mit bleibenden
Lähmungen auf eine Schwelle gestellt werden? Warum tut sie das? Entweder kaufen
oder Mitleid erheischen. Allein die Tatsache, dass ich es nun anprangere, zeigt
mir doch nur wieder WIE beschissen ich bin. Minderwertiges Drecksstück!!!
Und anstelle mich über dieses kranke System aufzuregen, fühle ich mich nur
erneut dreckig und schäbig, weil ich es nur im Ansatz gewagt habe und mir meine
Mutter unendlich leid tut. Sie hat das nicht verdient und wie kann ich es nur
wagen… Wie ich es auch dreh und wende, ich komme aus den Schuldgefühlen nicht
mehr raus. Da ist der Tod, ich sehe sie sterben und mich in untragbarer Schuld
versinken. „JA! ICH BIN SCHLECHT!!!“.
Da steht nun ihr Kuchen, den sie mitgebracht hat und es tut weh. Warum tut ihre überschwängliche Liebe so unendlich weh? Den Abfluss des Badezimmerwaschbeckens in wenigen Minuten mit meinem Blut verstopft. Und ich weiß nicht ob es reicht. Schmerzbekämpfung, Bestrafung… Ich versuche einen klaren Gedanken zu fassen, doch komme nicht weiter bis zu dem Bild, dass sich die Rollen erneut verschieben und sie zum kleinen, unschuldigen Kind wird. Unendlich rein im Herzen und ich ein Monster. Was habe ich getan, was verbrochen? Ist das die Strafe dafür, wenn ich versuche aus diesem verqueren Spiel auszubrechen? Ich gebe überhaupt niemandem Schuld an irgendetwas. Wäre dem so, hätte ich wenigstens einen Grund mich zu verurteilen und zu hassen. Doch schon der kleinste Hauch von Kritik, die sich auch nur lediglich in meinen Gedanken abspielt, fühlt sich an, als würde ich sie kaltblütig ermorden. WIESO????
11. März, Dienstagmorgen -60mg
Die Zeit schreitet voran und ich halte erneut inne um mich
darauf zu besinnen, dass ich hier schon mal war. Idyllische Stille mit
Vogelkonzert im Graben. Keine Kettensäge, kein Auto, kein Traktor, keine
Menschen. Als hätte der Sturm alles mit sich genommen. Der Himmel ist zugezogen,
sowie mein Kopf. Nicht wach und nicht träumend. Ich kam zu dem Schluss, dass
wenn es mir schlecht geht, ich schwach bin und meine Mutter, lasse ich sie zu
nah an mich ran, Teile von mir wegnimmt. Ob sie diese zu rauben versucht oder
lediglich bedeckt, weiß ich nicht. Doch in ihrer Gegenwart fühlt es sich an, als
würde ich mich auflösen, wäre nicht mehr existent. Und dann dachte ich an die
Arbeit, die ich vielleicht bald machen werde und ich konnte nur noch Missmut
fühlen und ganz viel Angst vor unbekannten Herausforderungen. Keine Freude
mehr, keine Lust auf Veränderung. Nur erneut depressives Versinken in Lethargie.
Die Nacht war zu lang, viel zu viel Zeit mit Herumwälzen und Nachdenken
zugebracht um dann immer wieder in Angsteinflößende Träume abzudriften und mich
noch weiter zu verlieren. Es ist wie immer nach einer Therapie: Alles scheint
egal. Auch die Sitzung morgen ist unwichtig, da ich in diesem Zustand ohnehin
nur Kauderwelsch von mir gebe und zudem nicht das Bedürfnis empfinde, dass sich
etwas ändern muss. Will
ich etwas ausdrücken, etwas malen? Ich weiß es nicht, denn ich weiß nichts. Mein
Kopf ist leer, meine Seele ohne Emotion, selbst mein Körper hält sich mit Reizen
zurück. Außer dass sich mein Magen erneut selbst verdaut, aber das kennen wir
schon. Die ersten zarten Triebe in den Bäumen. Ist es schön oder auch egal? In 1
½ Stunden laufen. Und was fängt der Rest des Tages mit sich an? Der Tee heizt
auf, die Ärmel hochschieben und die Aufmerksamkeit bleibt an den Schnitten
hängen. Albern. Harmlos. Die Haut wird immer unempfindlicher, stumpfer. Und auch
wenn es stark und lange geblutet hat, zeugen die Spuren nicht unbedingt von
einem Kampf.
Egal was ich auch tue, es erscheint überflüssig und sinnlos. Einfach nur hier hocken und nichts tun, scheint sinnvoller als alles andre. Wieder darüber nachdenken, ob es so schlimm wäre jetzt zu sterben. In tiefsinnigen Fragen ertrinken und keine klare Linie mehr erkennen können. Nur wissend, dass wir nichts wissen. Die daraus resultierende Angst lähmt mich noch mehr.
Nun regnet es und ich muss die letzten Minuten nutzen, um
mich zu erden.
Nachmittag
Wieder nach Jennersdorf fahren und im Hof der Firma parken.
Als ich loslief begann es zu regnen. „Na, wenn das mal nicht passend ist…“.
Wieder alles wattig und taub. Doch so entstand auch irgendwie das Gefühl zu
schweben. So schwebte ich also los, der Regen wurde mit jedem Meter stärker, ich
immer nasser und der Gesichtsausdruck wohl wieder mehr als versteinert. Reges
Treiben um mich rum, alles in Bewegung, alles schien seinen Gang zu gehen und
seinen tieferen Sinn zu haben. Nur ich nicht. Fühlte mich plötzlich wieder wie
ein Schandfleck in der Gesellschaft. Erfülle keinen Zweck, bin einfach nur da.
Reicht das aus? Einfach nur da sein und wenn man so will schmarotzen. Eklig,
klein, widerwärtig, schäbig und überflüssig. Meine Existenzberechtigung
lediglich darauf begründen, einfach da zu sein. Nicht auf irgendwelchen
Leistungen oder Errungenschaften oder Spuren, die ich hinterlasse. Einfach nur
meinetwegen. Das klingt so banal, so unwichtig. Das kann nicht reichen. Wäre ich
mehr wert, wäre es wert, dann vielleicht. Aber so? Was leiste ich? Und so rannte
ich durch den mittlerweile strömenden Regen und fühlte mich immer schlechter,
immer überflüssiger. Habe ich das Recht, überhaupt Geld zu beziehen für NICHTS?
Nur aus dem gesellschaftlichen Grundgedanken heraus, dass man selbst immer
aufgefangen werden will?
Wertlos. Nur das kleine Geheimnis unter den langen Ärmeln
gab so etwas wie Halt und trieb mich weiter voran. Was war in meinem Gesicht zu
lesen? Verunsicherung oder doch wieder nur verbissener Jähzorn? Die Klinge war
wieder stumpf. Ein Trauerspiel.
Das linke Auge probt erneut den Generalstreik, der Regen endet und zarte Sonnenstrahlen dringen durchs Wolkendickicht. Die Glotze läuft und betäubt, obwohl ich immer noch verzweifelt nach einem Bild in mir suche. Finde nichts, denn ich fühle nichts. Wieder stille Quadrate auf meine Hand zeichnen. Über einem Blatt Papier versinken, grübeln, bis ich etwas in mir finden kann? Warum kann ich mich nicht fühlen? Reicht „Langeweile“ als Erklärung?
(Irgendwie bekommt meine Mauer symbolischen Charakter...)
12. März, Mittwochvormittag -40mg
Erst nicht einschlafen, dann nicht schlafen, gefolgt von
Albträumen im Halbschlaf, Orientierungsverlust und Panikattacken. Meine Laune im
Keller. Und dann ein Schuss in den Ofen: Meine Therapeutin kommt nicht. Die alte
Dame, die im Haus wohnt und zugleich ihre Schwiegermutter ist, sieht mich im
Flur auf der Treppe hocken und lädt mich zu sich in die Wohnung ein. Dort hab
ich gewartet und mich unterhalten, obwohl mir alles sehr unangenehm war. Hatte
ich mich im Tag und der Uhrzeit erneut geirrt? Irgendwann ruft sie dann an und
endlich klärt sich die ganze Situation. Doch nicht mein Fehler, und die Sitzung
auf morgen verschoben. Alles halb so wild, wenn da nicht diese schreckliche
Unruhe vom Kortison wäre und die mich komplett ausfüllende Unsicherheit. Ich
bedankte mich mehrfach für die herzliche Asylgewährung. „Ich bin doch den ganzen
Tag allein…“. Das tat mir leid. Und noch schäbiger fühle ich mich, weil ich mir
die Frage stellen muss: War das nun Funktionieren oder war ich echt? Mir war
überhaupt nicht nach Reden, hatte ich mich doch kurz bevor ich von zu Hause
losfuhr erneut den linken Arm aufgeratscht, um mich wenigstens an den Schmerz
klammern zu können.
Nun gut, der Tag war eigentlich bereits optimal
durchgeplant, nun muss ich ihn aber erneut komplett über den Haufen werfen. In
der Schnelle der Gefechts hab ich auch noch zugesagt, morgen um 8:30 Uhr da zu
sein. Also wird das nichts mit Schlaf nachholen. Hatte ich mich doch heute schon
so sehr darauf gefreut, am Abend das Auto in die Firma zu bringen und gemeinsam
mit Sebastian nach Hause zu laufen. Aber da ich das Auto nun morgen früh wieder
brauche, ist das hinfällig. Meine Versagensängste bekommen noch ordentlich
Zunder nachgelegt. Als ich gestern Abend mit der Arbeit an einer neuen Hose
begann und ständig stand oder mich niederkniete, reagierte mein Körper ziemlich
rasch mit einer leichten Lähmung im rechten Bein. Warum denn nun schon wieder
rechts? Reicht links denn nicht? Und die Sehkraft ist auch katastrophal. Mal
sehen, wie lange mein Körper das alles heute noch mitmacht. Oder ob mir das
Nähen der Hose sozusagen „das Genick bricht“…
Nachmittag
Dass DAS MEIN Tag wird, war bereits gestern Abend bei den
massiven Entgleisungen meines Körpers klar. Zerschlagene Tagesroutine =
Freifahrtsschein in die Katastrophe. Beim kurzen Nähen versagte mein Körper noch
mehr. Die Muskulatur in der rechten Wade wurde steinhart und das Bein fühlte
sich gelähmt an. Nicht in der Lage, den Stoff der Hose zu halten, geschweige
denn die Stecknadeln wieder raus zu ziehen. Da das Gewicht heute Morgen noch
weiter runter war, kam ich in einen Konflikt und verlor mich während des
Mittagessens in Kalkulationen, mit Endstation Klo. „Sag „Tschüss!“ zum
Blumenkohl!“. Halb heulend, halb lachend, weil alles nur noch absurd und
irgendwie skurril abläuft. Wie soll ich mich selbst noch ernst nehmen? Ob ich in
1 ½ Stunden noch laufen kann? Wäre der Tag anders verlaufen, hätte ich die
ursprüngliche Planung einhalten können? Und wieder ist da die Angst vor der
Arbeit. Die Psyche im Arsch, die Physe zum in die Tonne treten. In Gedanken bin
ich längst bei einer Klinge um alles abzustellen, mich selbst abzuschalten.
Scheiße! Scheiße! SCHEISSE!!!!
Erneute oberflächliche Verletzungen. Was hält mich noch davon ab eine neue Klinge einzuweihen? Wieder der Plan heute Abend zu baden? Zittern. Endstation.
13. März,
Donnerstag 7:00 -40mg
Neustart. Den gestrigen Tag also heute noch mal neu. Das
Haus ist umstellt von singenden Rotkehlchen und die Morgensonne küsst den Gipfel
der Hügelkette auf der gegenüberliegenden Seite. Knallorange und voller Leben.
Ich weiß noch nicht, ob ich lebe bzw. ob ich dieses zulassen darf. Weiß nicht,
wie der Tag verlaufen wird, was ich darstellen will und letztendlich wieder
werde. Noch ist alles ruhig, obwohl ich das Chaos in mir erneut erahnen kann.
Springen meine Gedankengänge doch genau so unbeständig und paradox von einem
Punkt zum nächsten, wie sie es für gewöhnlich in Träumen tun. Ich spielte
tatsächlich mit dem Gedanken, früher aufzustehen, um für die eventuelle
Notwendigkeit weiterer Verletzungen Spielraum zu haben. Dabei verlief der Abend
dann doch noch ganz ruhig. Nachdem ich mich selbst ins Aus befördert hatte, rief
ich meine Mutter an. Warum? Aus schlechtem Gewissen? Damit ich’s wieder hinter
mir hab? Oder um mich in diesem schwachen Zustand komplett ins alte System
einzugliedern? Es tat mir leid, es tut mir leid. Wie schäbig. Oder doch
meinetwegen? Es war schön, sie wieder so voller Leben erleben zu dürfen, auch
wenn es sich erneut mehr um ein Einweggespräch, also einen Monolog handelte. Es
war schön und zugleich tat es weh. Also kann es nicht meinetwegen gewesen sein.
Nicht mir selbst zu liebe, um mich vom ganzen Scheiß davor abzulenken. Denn
letztendlich ist es wie eine Folter, sie so nah an mich ranzulassen. Ich
versinke in meinen alten Verlustsängsten, sehe sie und auch andre sterben, fühle
den grausamen Schmerz und tu mir selbst letztendlich wieder nur weh. Dann fuhr
ich mit dem Auto die Hälfte der Strecke bis nach Jennersdorf und stellte unsre
Karre am Straßenrand ab um von dort aus laufend nach Jennersdorf zu gelangen.
Zwar nicht exakt das, was geplant war, aber zumindest die halbe Miete. Bis zur
Firma, dort holte ich Sebastian ab. Er ging, ich trabte daneben her und es war
unglaublich schön. Gemeinsamer Sport kommt für gewöhnlich nicht in Frage. Und
als wir das Auto erreichten fühlte ich so etwas wie Frieden. Auch das geplante
Abendessen warf mich nicht mehr aus der Bahn, Kalkulationen und Kotzen sei dank.
Zudem ist die neue Nähmaschine ein Traum. Kein Fluchen, kein Zerren am Stoff,
keine Fehler in der Naht. Harmonie pur. Schon soviel Harmonie, dass sich mir
erneut die alles trübende Frage aufdrängt: Wo ist der Haken?
Vormittag
Zurück von der Therapie und der Vorstellungsübung, die uns
letztendlich nur zu dem einen Schluss gebracht hat, dass ich in diesem System,
und sei es noch so offensichtlich irrational, festgefressen bin. Da ist ein Loch
in meinem Bauch. Weiß nicht wie ich nach Hause gefahren bin. Verrichte Dinge im
Haus wie ferngesteuert. Kann mich nicht fühlen. Die Augen brennen, alle Tränen
scheinen vergeudet. Es kam nichts Neues ans Tageslicht, und doch hinterlässt das
Bild aus der Vorstellung einen Brandfleck. Alle Versuche, mich in der
Vorstellung von meiner Mutter zu lösen, endeten in Tod, Mord, Chaos. Weil ich
verantwortlich für ihr Leben bin. Immer alles andere gewesen: Mutter,
Lebenspartner, beste Freundin, Vorzeigepüppchen, Angestellte. Doch nie Kind.
Außer Stande selbst nur in meiner Vorstellung einen produktiven Schritt aus der
Misere zu unternehmen. Atemlosigkeit, als hinge ich tatsächlich an der Kette.
Muss mich erden. Ohne Zögern, ohne Nachdenken aufschlitzen mit einer neuen,
scharfen Klinge. Jeder Schluck bleibt mir im Halse stecken. Ist ein Sturm durch
mich hindurchgefegt?
Nachmittag
Versager!!!....
14. März, Freitagmorgen -20mg
Freitag, schon wieder Freitag und die Mitte des Monats
erreicht. Irgendwie erscheint alles erst wie gestern und während des Durchlebens
doch wieder nur wie eine Ewigkeit. Freitag und Angst vor dem Wochenende. Da
waren zwei schöne Wochenenden, doch das ist und blieb die Ausnahme. Zwei aktive
Wochenenden, mit Arbeit im Garten und ganz viel Überanstrengung. Und wie es bei
mir Gesetz zu sein scheint, resultieren aus Umständen, die ich genieße, immer
nur Retourkutschen. So wird dieses wohl kein aktives Wochenende. Eher wieder
zwei Tage ohne Routine und Planung, die mein Gewicht über den Haufen schmeißen
und ganz viel Langeweile vor der Glotze. Schöne Aussichten.
9:15
Alles erledigt, den Haushalt mehr oder minder geschmissen
und der Kopf leer. Was nun? Auch die Hose ist fertig genäht. Zum ersten Mal OHNE
Fluchen, ohne einen einzigen Fehler der Nähmaschine oder meinerseits. Aber
jetzt? Was könnte ich noch verschandeln, wo Hand anlegen bzw. bin ich dazu
überhaupt in der Lage? Ich wollte das Szenario aus der Vorstellungsübung gestern
auf Papier festhalten, aber ich KONNTE nicht. Erst hatte ich Angst, mein Können
würde nicht ausreichen um es genau so darzustellen wie ich es gesehen habe und
dann wusste ich nicht mehr, wo ich anfangen soll. Aufschlitzen ist auch eine
Beschäftigung. Nur leider eine sehr frustrierende, wenn das Gefühl bleibt einer
neuen Klinge nicht gerecht geworden zu sein und diese nur unnötig zu vergeuden.
Zudem war mein Körper nach dem in mich Gehen, massiv angespannt und
schmerzempfindlich. Keine Endorphine, keine Art Rauschzustand, keine Betäubung.
Nur massives Brennen und starker Wundschmerz, dem der Körper nichts mehr
entgegensetzen wollte. Ist das nicht seltsam? Es hat mich an einem Punkt
gepackt, an dem all die Schwäche und Zerbrechlichkeit wie bei einer Eruption
schlagartig zum Vorschein kam und mich in einem äußerst verletzlichen Zustand
zurückließ. Wie es heute ist, weiß ich nicht. Weiß auch nicht, ob ich nicht
ohnehin dazu komme, es auszutesten. Versuche dem Tag eine Struktur aufzuzwingen
und sehe mich Scheitern.
Nacht
Es gibt scheinbar keinen Grund. Dennoch.
Es funktioniert wieder…
15. März, Samstagmorgen -20mg
Erst in ein Loch aus Langeweile geplumpst, schick umrandet
von einem Stacheldrahtzaun aus getriebener Unruhe. Dann das „EXIT-Schild“
entdeckt und drauf los genäht. Erst Frust, weil es nicht klappte. Dann kurze
Euphorie, weil das Hemd sich zu entwickeln begann um dann kurz vor Schluss in
verbitterter Ernüchterung vor meinem „Werk“ zu stehen. Der Stoff zu dick –das
Hemd zieh ich doch niemals an. Und anstelle mich darüber zu freuen, dass ich
zumindest die letzten Stunden einer Beschäftigung nachgehen konnte, war ich nur
noch gefrustet. Zurück in alte Muster, mich fallen lassen in den Schmerz und das
Schweigen. Das kann ich doch so gut.
Mittag
Wie soll ein Tag verlaufen, von dem man im Voraus erwartet,
dass er in Langeweile verläuft?
-Und kaum ist der Satz zu Ende gedacht trifft mich wieder
einer dieser Dejavueanfälle mit voller Wucht und legt mich für eine gefühlte
Ewigkeit lahm. Klar, es wiederholt sich doch auch alles.
Ich rannte also los, mit diesem unguten Gefühl und diesem
massiven Widerwillen, dem Tag überhaupt eine Form zu geben. Nach 30 Minuten
setzten die ersten neurologischen Ausfälle ein. Nach 50 Minuten kam die Lähmung
im linken Bein. Dennoch schaffte ich 65 Minuten und dabei 8,2km. Als ich stoppte
und bei Sebastian, der mit dem Auto nachgekommen war, einstieg, musste ich
natürlich wieder mein linkes Bein mit den Händen ins Auto hieven. Das kennen wir
doch schon. Die Laune besserte sich, es gab eine Leckerei im Cafe und dann einen
Kurzausflug zum zweiten Stoffladen meines Vertrauens. Sebastian dauerte es
eindeutig zu lange, doch ich konnte wieder Informationen und Anleitungen
einheimsen, für die ich bei der Umsetzung in die Praxis vermutlich wieder nur zu
blöd bin. Zudem einen neuen Leinenstoff, das Wochenende ist somit gerettet. Oder
nicht? Die Tatsache, dass dieser 18 Euro gekostet hat, setzt mich auch irgendwie
unter Druck. Wieder muss ich an all die Ausgaben denken, die nun in den nächsten
Tagen zu tätigen sind und mir wird schlecht. „Alter Geizkragen!“. Und
nun? Vorerst wieder vor der Glotze absaufen…
Abend
Das abendliche Vogelkonzert durch Tür und Fenster den
dämmrigen Raum fluten lassen. Und mich fragen, ob DAS Grund genug ist, noch zu
leben. Nein, es geht mir im Moment nicht schlecht. Da ist nur Wehmut. Es ist so
schön, sogar so schön, dass es weh tut…