Kastriert

Kastriert

"Kastriert"

25. April 2008, Aquarell und Bleistift

24. April, Donnerstagnachmittag
„Warum sind sie so schlecht?“. Mich beinahe durch die gesamte Sitzung heulen. Ja, ich hasse mich, finde mich selbst scheiße und vor allem überflüssig, in allem was mich ausmacht. Warum? Gäbe es ein Schlüsselerlebnis, wäre es dann einfacher? Die Erinnerungen verblassen, ich fühle nicht länger das Bedürfnis anzuklagen. Diese Schräglage als Produkt des Umgangs meines Vaters mit mir zu erklären, bringt nur unzureichend Befriedigung. Aber es ist wohl wirklich so, dass wenn ich ICH selbst war, wurde ich stets dafür bestraft, in welcher Form auch immer. Ergo? Ich bin SCHEISSE, denn meine Persönlichkeit ist scheiße! Mit gesenktem Haupt durch Jennersdorf schlurfen wie eine wandelnde Leiche. Nichts erinnerte mehr an den Lauf noch vor über einer Stunde. Ich weinte nach der Sitzung, ich weinte beim Mittagessen. Wieder an meinem Arm rumritzen. Die Bilder hatten recht: Auf den ersten Blick vermitteln sie den Eindruck, es würde sich etwas ändern und strahlen positive Energien aus. Doch bei genauem Betrachten wird klar, dass alles wieder nur Fassade und zugleich Lüge ist. Es geht mir nicht gut, denn es darf mir nicht gut gehen. Und ich weiß nicht mehr, ob ich selbst schuld bin oder ob es mit mir geschieht. Und selbst das wiederhole ich nun schon zum dritten Male und ich kotze mich selbst deswegen so dermaßen an, dass mir schlecht wird.
Ich solle nach Respekt und Achtung für mich selbst Ausschau halten. Wo soll ich das finden? In den seltenen Momenten, in denen ich mich zur Wehr setze? Schaffe ich es doch nicht mal ich selbst zu sein, gefangen in einem Schauspiel ohne Ende, nur, damit es meinem Gegenüber gut geht und sich wohl fühlen kann. Manchmal beneide ich depressive Menschen, die es auch zeigen. Ich kann das nicht und verrate mich wieder nur selbst. Ab in den Restmüll! Dreck ist es nicht wert, Wertschätzung zu erfahren geschweige denn geachtet zu werden. Ich bin es nicht wert. Meine Augen brennen, als würde ich immer noch weinen. Vielleicht tu ich es auch, nur innerlich. Meine Seele zerfressen von Schuld und Hass, weint blutige Tränen und wieder kann ich mich nicht ernst nehmen, nach DEN lächerlichen Kratzern.

25. April, Freitag 6:00 Uhr
Das Gewicht steigt. Ist es eine Strafe? Mir einzureden, wenn ich meine Tage habe, sei es normal, macht es nicht besser. Was ist schon normal? „Fettes Schwein!“. Wieder verfallen in diesen Gewichtswahnsinn? Pah! Als sei ich ihm jemals entronnen! In meinem Traum hatte ich mich selbst in die Psychiatrie eingewiesen, aber nichts hatte sich dort verändert, es war genauso wie 1999. Ich kann nicht mal behaupten, dass es durch die skurrilen Wesenszüge eines Traumes unheimlicher war als bereits damals in der Realität. So ließ ich mich direkt wieder entlassen. Aus dem Bett fallen, ins Bad kriechen und im Spiegel eine schrecklich hässliche Visage. Mir selbst ins Gesicht spucken könnt ich. „Warum siehst du so aus? Warum bist du so fett und unförmig? Was machst du falsch?“. Ich sehe nicht nur scheiße aus, ich fühle mich auch unheimlich hässlich und werde wohl nachher wieder die Klamotten wechseln. „Aspro und ihre Blutverdünnung…“, sagte die Dame in der Apotheke, während sie auf den Karton mit dem Heparin klopfte: „…würden sich wohl gegenseitig begünstigen, das wäre nicht gut. Nehmen sie lieber Ibuprofen bei Kopfschmerzen.“. Was wäre daran bitteschön UNGÜNSTIG? Ein Blick auf meinen Arm, der mittlerweile kreuz und quer zerschnitten ist, und ich bin davon überzeugt, wie günstig diese Wechselwirkung für mich ist. Was ist das? Kinderkacke? Wieder mal? Zerschnitten? Oder sollte ich eher „zerkratzt“ sagen? Lediglich ein leichtes Spannungsgefühl, mehr nicht. Kein Schmerz, kein Brennen. Unsre neuen Nachbarn beginnen bereits jetzt mit dem Baulärm, ein ständiges Poltern dringt durchs offene Fenster und reibt mich innerlich noch mehr auf. Ja, vielleicht sollte ich mir in einer andren Apotheke wirklich Aspro besorgen, obwohl ich nicht glaube, dass da irgendetwas passiert. Schon viel zu viele Medikamente hab ich durch, die allesamt trotz beschriebener Wechselwirkung KEINE Wirkung zeigten. Was wäre das Ziel? Noch mehr bluten? Noch größerer Blutverlust und die Anämie zum Bestandteil meines Diagnosenhaufens machen? Blutarmut… Ja, ich war gewissermaßen immer schon arm in all dem Reichtum. Den Käfig voll gestopft mit Geschenken, so sehr, dass man mich dahinter nicht mehr sah. Wieso auch? Die Schuldigkeit war getan, das schlechte Gewissen gestillt, man konnte beginnen zu vergessen und wusste es irgendwie auch nicht besser. Oder sie Zeiten waren einfach so gestrickt, dass sie es nicht anders zuließen und diese Art von Ablasshandel augenscheinlich als einzig passende Lösung in Betracht gezogen wurde. Verzweiflungstat? Das trifft es wohl. Es war ja nie böse gemeint. Aber Geschenke als Ersatz für Nähe und Aufmerksamkeit? Wahrlich, ein Kuhhandel…
Abend
Kotzend überm Klo hängen. Ein guter Abschluss für diesen Tag. Aber vielleicht geht da noch mehr…

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